Donnerstag, 21. September 2017

Siegfried Lenz: Der Überläufer ★★★★☆

Siegfried Lenz: Der Überläufer 


Cover: Hoffmann und Campe

1951 wollte Siegried Lenz diesen Roman als seinen zweiten veröffentlichen. Es blieb beim Versuch: in der Adenauerzeit wollte niemand etwas von Überläufern, Deserteuren oder Vaterlandsverrätern wissen, außerdem gab es ein negatives Gutachten eines Lektors. Der Verlag verhielt sich hinhaltend, sodass der junge Autor diesen Roman in der Schublade verschwinden ließ und einen neuen zu schreiben begann.

In dieser Schublade schlummerte dieses Werk, bis es nach Siegfried Lenz Tod (2014) endlich wieder herausgeholt wurde.

Gut so, denn ansonsten hätten wir was versäumt!



Denn hier schreibt einer, der selbst von der Wehrmacht desertierte, und daher weiß, was das heißt.

Im ersten Teil beschreibt er die Geschehnisse auf der "Festung", die nicht mehr war als ein besserer Unterstand im Osten für eine Handvoll deutscher Soldaten. Partisanen ringsum, der ewig gleiche Trott und sinnlose Befehle treiben die Mannschaft schön langsam in den Wahnsinn: zum Beispiel versucht einer seit Monaten vergeblich, einen Riesenhecht zu fangen, ein anderer dressiert ein Huhn.

In der Mitte des Buches kommt es zum Knick: die Partisanen reiben die Festung auf, übrig bleiben lediglich der Protagonist Walter Proska und ein zweiter Kamerad. Gemeinsam warten sie in einer Zelle auf ihre Erschießung am nächsten Morgen.

Im zweiten Teil erfahren wir dann, dass beide die Seite gewechselt haben und jetzt selbst bei Partisanenaktionen mitmachen.

Nach Ende des Krieges tritt Walter Proska eine zivile Verwaltungsstelle an. Ihm fällt auf, dass seine Mitarbeiter plötzlich nicht mehr erscheinen und statt dessen andere kommen - ohne sein Wissen und Zutun. Als ihm klar wird, dass auch ihm Gefahr droht, setzt er sich in den Westen ab. Er wird also sogar zwei Mal zum Überläufer.

All das ist in eine packende Sprache gegossen, die einem die beschriebenen Situationen sehr lebhaft vor Augen führt. Dieser Roman braucht sich vor "Im Westen nichts Neues" oder "Menschen im Krieg" nicht zu verstecken! Ein sehr beachtliches Werk für einen Mittzwanziger!

1 Kommentar:

  1. weil ich bei meinen vielen Büchern nicht mehr ganz sicher weiß, welche ich schon gelesen und welche ich "nur" besitze, habe ich mir angewöhnt, kurze Kommentare hineinzuschreiben. Im "Überläufer" findet sich vom April 2016: "ein typisches Lenz-Thema, (noch) nicht so ausgefeilt bearbeitet, wie die späteren Romane. Aber was für ein Schriftsteller!" KS

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