Daniel Kehlmann: Lichtspiel
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Cover: rowohlt |
Georg Wilhelm Pabst (meist G. W. Pabst geschrieben) war ein österreichischer Filmregisseur, der zur Stummfilmzeit eine echte Größe war; seine neuen Techniken und Sichtweisen waren teilweise revolutionär und stilbildend.
Ein Abstecher nach Hollywood lag auf der Hand, endete aber in einem Desaster. Frustriert kehrte er nach Europa zurück. Nach Ausbruch des 2. Weltkrieges saß er im Deutschen Reich fest, er konnte es nicht mehr verlassen.
Notgedrungen musste er bei Propagandaminister Goebbels zu Kreuze kriechen, damit er, der "rote Pabst", wenigstens schöne, gute, deutsche Filme drehen durfte.
Daniel Kehlmann schrieb über ihn einen sehr einfühlsamen Roman, in dem er Geschichtliches mit Fiktivem ergänzte und mischte. Packend und lebendig geschrieben nimmt uns das Buch mit und lässt uns mit GWP mitleiden. Denn das war es: ein Leidensweg, den er auch nach dem Krieg nicht mehr wirklich verlassen konnte.
Die Kapitel des Buches stellen einzelne Szenen im Leben von G. W. Pabst und seiner Familie dar, die uns Leser die Umgebung und Situationen miterleben lassen.
Etwa auf einer Party in Hollywood. Pabst ist bereits klar, dass der Film, den sie ihn hier drehen lassen, eine einzige Niederlage werden wird: Schwache Geschichte, unbrauchbares Drehbuch, inferiore Schauspieler, knappes Budget und so weiter. Dazu sein dürftiges Englisch, das gerade mal für eine simple Konversation reicht, für die Leitung eines Filmes aber nicht. Er sollte recht behalten, der Film wird ein Reinfall.
Er kehrt nach Europa zurück und dreht unter anderem in Frankreich. Neben der gewohnteren Umgebung hat es noch den Vorteil, dass es von Österreich (bzw. damals schon Ostmark) nicht so weit entfernt liegt.
Ausgerechnet am 30. August 1939 fahren er, seine Frau Trude und ihr Sohn Jakob in die Steiermark, weil sich Pabst um seine kranke Mutter kümmern möchte. Zwei Tage später beginnt ein neuer Krieg, sie sitzen fest.
Eine weitere bedrückende Szene spielt dann gleich anschließend bei Goebbels ab. Der stellt ihn unmissverständlich vor die Alternative "schöne deutsche Filme oder Lager".
Oder: Pabst schickt seine Frau in einen Lesekreis, um gut Wetter zu machen: Denn in diesem Zirkel sitzen zahlreiche Frauen von Nazibonzen. Allerdings unterhalten sie sich ständig über Romane des immer gleichen Autors – Alfred Karrasch. Dessen Romane sind aus heutiger (und Trudes) Perspektive praktisch ungenießbar. Aber es ist ihr und uns schnell klar, dass sie das niemals so aussprechen darf!
Es gelingt ihm, selbst unter diesen Umständen Filme zu machen, mit denen er leben kann. Er bekommt schon mit, dass er – vor allem in späteren Jahren – Statisten vorgesetzt bekommt, die aus Lagern abkommandiert wurden, dass er im Umgang mit Schauspielern jedes Wort auf die Goldwaage legen muss etc. Aber das versucht er auszublenden, er lebt und dreht nur für seine Filme.
Es kann auch passieren, dass aus heiterem Himmel zwei oder drei mit Ledermänteln bekleidete Männer dastehen und seinen Assistenten mitnehmen. Oder einen anderen, der sogar in der Partei fest verwurzelt ist und beste Kontakte zu Goebbels hat.
Die Szene, in der das passiert, halte ich übrigens für eine der gelungensten des ganzen Buches. Hier haben wir plötzlich einen anderen Ich-Erzähler, nämlich einen britischen Humoristen, den die Deutschen gezwungen haben, für sie Radiosendungen zu schreiben. Die Szene und der Name dieses Humoristen sind zwar fiktiv, den Humoristen an sich gab es aber wirklich: P. G. Wodehouse. Schon in den ersten paar Zeilen ist deutlich zu sehen, wie Daniel Kehlmann plötzlich den Stil wechselt, nämlich auf britisch und humoristisch – auch wenn es bei der Uraufführung von Pabsts neuem Film "Paracelsus" nicht wirklich was zu lachen gibt.
Seinen letzten Film während der Nazizeit dreht er in Prag (Der Fall Molander). Die Statisten werden immer öfter und in immer größerer Zahl aus Lagern geholt. Pabsts Assistent erkennt unter ihnen seinen früheren Kinderarzt und bricht daraufhin zusammen. Pabst gelingt es, den Film gerade noch fertigzustellen, bevor er und sein Assistent (so wie alle Deutschen) aus Prag fliehen müssen. Sie packen die Filmrollen in einen Rucksack und schaffen es gerade noch in einen Zug nach Wien. Beim Aussteigen verwechselt ein Schmied diesen Rucksack mit seinem, zurück bleibt ein Sack voller Hufeisen. Der Film gilt nach wie vor als verschollen.
Und so könnte ich noch zahlreiche weitere Szenen anführen, die dieses Buch zu einem absoluten Leseerlebnis werden lassen.
Dieser Roman ist wirklich top, in jeder Hinsicht, und ich kann ihn einfach nur jedem ans Herz legen.
Wenngleich ich seinen "Tyll" noch um einen Tick höher bewerten würde. Herummäkeln auf sehr hohem Niveau.
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