Donnerstag, 7. November 2019

Daniel Kehlmann: Tyll ★★★★★

Daniel Kehlmann: Tyll 


Cover: rowohlt

Schon in seinem Roman "Die Vermessung der Welt" gelang Daniel Kehlmann eine gelungene Mischung aus historischen Fakten und Fiktion. Hier beim Tyll setzt er meiner Meinung nach noch eins drauf, sodass ein wirklich außergewöhnlich guter historischer Roman entstand!


Die Till Eulenspiegel-Geschichten sind 1515 in Buchform erschienen, also am Beginn des Buchdruckzeitalters. In Wirklichkeit dürften die Till-Szenen aber schon wesentlich früher bekannt gewesen sein.

Daniel Kehlmann versetzt seinen Tyll in den Dreißigjährigen Krieg und macht damit aus ihm eine Art Simplicissimus. Er versucht immer wieder, diesem Krieg aus dem Weg zu gehen und so kommt er als Gaukler und Schelm durch das ganze Deutsche Reich. Was er dort sieht, ist hauptsächlich Verwüstung, Verelendung und Entvölkerung. Die Beschreibung dieser Situation gelingt dem Autor wirklich sehr eindringlich und anschaulich!

Ein sehr gelungenes Kapitel beschreibt sein Zusammentreffen mit Athanasius Kircher, der als junger Gelehrter in das Dorf Tylls kommt und dort mit seinem Lehrer Oswald Tesimond einen Hexenprozess gegen Tylls Vater anzettelt. Dessen ganze Schuld besteht darin, Bücher zu besitzen sowie Heilkräuter und den einen oder anderen Zauberspruch zu kennen. Am Tag der Hinrichtung seines Vaters verschwindet Tyll aus seinem Dorf, begleitet von der Bäckerstochter Nele: ihre Laufbahn als Gaukler, Seiltänzer, Jongleur und Sänger beginnt.

Ebenfalls sehr gelungen ist die Einbettung der diversen Tyll-Szenen in den historischen Zusammenhang. Bis auf Tyll und Nele sind sämtliche Personen und Orte historisch korrekt!

Hier stehen vor allem der Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz und dessen Frau Elisabeth (Tochter des englischen Königs Jakob I.) im Mittelpunkt. Friedrich wurde von den protestantischen Ständen die Böhmische Krone angeboten; einem Angebot, dem er nicht widerstehen konnte. Er war allerdings nur ein Jahr lang König (daher sein Spottname "Winterkönig"), denn der Kaiser in Wien konnte und wollte nicht zulassen, dass dort ein anderer als er selbst König ist. Der Dreißigjährige Krieg beginnt also damit, dass die Kaiserlichen das erbärmliche und völlig auf sich selbst gestellte Häuflein in Prag einfach wegpusten. Friedrich und seine Familie, jetzt vogelfrei und mit Reichsacht belegt, fliehen ins Exil in die Niederlande. Tyll und Nele werden später bei ihm sein, Tyll begleitet Friedrich sogar nach Mainz, wo er den schwedischen König Gustav Adolf trifft und ihn um Unterstützung bittet. Die bekommt er aber nicht, und so zieht er erfolglos ab. Kurz außerhalb von Mainz ereilt ihn der Pesttod, Tyll ist bei ihm. Sehr beeindruckende Schilderung des Winterlagers des schwedischen Heeres vor Mainz!

Ich möchte jetzt nicht den ganzen Roman nacherzählen. Nur noch die letzte Szene, in der Elisabeth nach Osnabrück kommt und dort die versammelten Botschafter trifft, die sich zu Friedensverhandlungen zusammengefunden haben. Wieder ist sie erfolglos, die Pfalz und die verlorene Kurwürde bekommt sie für ihren Sohn nicht mehr. Die Verhandlungen werden später erfolgreich abgeschlossen werden und gehen als Friede von Münster und Osnabrück (Westfälischer Friede) in die Geschichte ein.

Das alles wird in einer sehr eindringlichen und bildhaften und gewaltigen Sprache erzählt. Die "Vermessung der Welt" hat mir damals schon sehr gut gefallen, dieser Roman hier aber noch mehr. 

Ich halte dieses Werk für sein bestes bisher!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen