Montag, 12. August 2024

Festspiele Reichenau 2024

Juli ist Reichenau-Zeit! Auch dieses Jahr wieder.

Heuer waren es gleich vier Veranstaltungen, die wir besuchten; wobei eine davon kein klassisches Theaterstück war, sondern ein "Interview" oder "Doppelconferance" oder ... von und mit Maria Happel und Michael Niavarani.

Im Vorjahr gab es mit Werner Schwabs "Die Präsidentinnen" einen klaren Sieger. Ein derart überragendes Ereignis hatten wir diesmal nicht, die drei Theater-Nachmittage waren einfach guter, gehobener Durchschnitt:

  • Tag eins hatten wir am Nachmittag Ödön von Horvaths Stück "Der jüngste Tag" auf dem Programm
    Und am Abend das schon angesprochene Interview
  • Tag zwei waren wir aufgeteilt: Gundi und Fritz sahen vier Einakter aus Arthur Schnitzlers "Anatol". Ihre Begeisterung nach der Vorstellung hielt sich aber in Grenzen.
    Jutta und ich hatten den schon beinahe obligaten Nestroy, diesmal mit dem "Lumpazivagabundus".
  • Tag drei war dann dem frühen Stück "Der Ignorant und der Wahnsinnige" von Thomas Bernhard gewidmet.

Besonders erwähnen möchte ich noch die Werkseinführungen, die wir bekommen haben. Angelika Messner, die Dramaturgin Reichenaus, hat uns in etwa 15-20 Minuten die Stücke näher gebracht und sie in den historischen Rahmen gesetzt. Diese Vorträge hielten wir für besonders gelungen! Hoffen wir, dass das für die Zukunft beibehalten wird!





"Der jüngste Tag" von Ödön von Horvath

Der Fahrdienstleiter Hudetz ist ein K&K-Beamter alten Schlags: Stets korrekt und pflichtbewusst. Privat hat er einen etwas schwierigen Stand: Hinter seinem Rücken wird ständig über seine Frau getuschelt, die 17 Jahre älter ist als er. Aber er steht zu ihr und verteidigt sie jedesmal, wenn der  Tratsch wieder einmal etwas zu laut wird.

Eines Abends flirtet er aber mit der Wirtstochter Anna, es kommt zu einem Kuss. Frau Hudetz beobachtet die ganze Szene von einem Fenster ihrer Dienstwohnung aus. Aber gerade in diesem Moment fährt der Eilzug durch den Bahnhof. Schlagartig wird Thomas Hudetz bewusst, dass er durch den Kuss vergessen hat, "das Signal" umzustellen. Er holt es noch schnell nach, aber zu spät: Die Katastrophe ist unausweichlich.

Bei der Befragung durch den Staatsanwalt kommt es allerdings zu seltsamen Aussagen. Anna behauptet steif und fest, dass Hudetz das Signal zeitgerecht umgestellt hat und daher unschuldig ist. Seine Frau hingegen behauptet – wahrheitsgemäß – das Gegenteil. Der Fahrdienstleiter selbst sagt ebenfalls, dass er immer sämtliche Signale rechtzeitig gestellt hätte, so auch diesmal.

Endergebnis: Thomas Hudetz ist unschuldig, seine Frau aber im Ort geächtet. Es kommt zur Trennung, sie zieht zu ihrem Bruder, dem Apotheker.

Anna plagt indessen ihr schlechtes Gewissen und verlangt von Hudetz eine Aussprache. Sie treffen einander beim Viadukt, um Zeugen zu vermeiden. Als sie zwei Tage später immer noch nicht zurück ist, beginnen die Leute im Ort Fragen zu stellen. Die öffentliche Meinung dreht um 180 Grad und glaubt nun Frau Hudetz und nicht mehr Anna. Die Leute gehen davon aus, dass der Fahrdienstleiter Anna endgültig zum Schweigen gebracht hat.

Auf der Flucht treibt es ihn noch einmal zum Viadukt. Dort erscheinen ihm die Toten, die er zu verantworten hat und schildern ihm das Jenseits in den schönsten Farben. Anna hingegen warnt ihn vor diesem furchtbaren Ort. Hudetz überlegt kurz, ob er sich vor den Zug werfen soll, entscheidet sich aber zuletzt dagegen. Er lässt sich vom nahenden Polizisten festnehmen.


All das haben wir in einer guten, soliden Inszenierung gesehen. Das betrifft sowohl die Schauspielriege als auch das Bühnenbild. Der neue Saal hat nur eine zentrale "Arenabühne" in der Mitte; dadurch haben zwar alle im Publikum schöne Sicht, allerdings ist ein Umbau ohne größere Pause nicht möglich. Die Ortswechsel wurden einfach per Ausleuchtung vorgenommen, indem eben nur der aktuelle Spielort hell war und der Rest in der Dunkelheit verschwand.


Maria Happel und Michael Niavarani

Die beiden haben einfach aus ihrem Leben geplaudert: Werdegang, Herkunft, und und und. Zwei Stunden beste Unterhaltung bei Vollgas. Die beiden waren einfach gut drauf. Es war ein wirklich  gelungener Abend!

Inhaltlich praktisch nicht wiederzugeben.


"Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt" von Johann Nestroy


Die Geschichte dürfte weitgehend bekannt sein. Durch das Eingreifen von Fortuna träumen eines Nachts drei Handwerksburschen in einer Unterkunft die gleichen Lottozahlen. Sie kaufen um ihr letztes Geld das Los mit dieser Nummer – und es gewinnt tatsächlich! Die drei teilen den großen Gewinn unter sich auf. In einem Jahr möchten sie in der gleichen Herberge wieder zusammenkommen, um zu sehen, was aus jedem geworden ist.

Schuster Knieriem ist hoffnungslos dem Alkohol und Weltuntergangsgedanken ausgeliefert. Der nahende Komet wird alles auslöschen, wozu also eine Existenz aufbauen? Da ist es doch vernünftiger, alles Geld in Alkohol anzulegen.

Schneider Zwirn baut sich ein großes Unternehmen auf, fällt aber auf Betrüger herein und verliert ebenfalls alles Geld. Er ist darüber gar nicht sonderlich traurig, denn er hält es an einem Ort eh nicht wirklich aus. Er zieht viel lieber als wandernder Schneider durch die Gegend. Sesshafte Seriosität – das ist nicht Seins!

Der Einzige, der wirklich etwas aus dem Gewinn macht, ist Tischler Leim. Er kann die Tochter seines Meisters heiraten, der Schwiegervater hilft ihm bei der Existenzgründung, der Lottogewinn sichert das Ganze ab.

Nach einem Jahr kommen die drei eben wieder zusammen, und bis auf den Tischler sieht es für dieses "liederliche Kleeblatt" nicht gut aus. Leim versucht noch, mit Geldversprechen die beiden anderen auf einen sicheren Pfad zu leiten, aber sie lehnen ab beziehungsweise können nicht anders.

Der böse Geist Lumpazivagabundus trägt das Seine dazu bei. Immer wieder erscheint er Knieriem und Zwirn und muntert sie zur Geldverschwendung auf. Passenderweise hat er in dieser Inszenierung das Aussehen eines faustischen, teuflischen Mephistos!

Die Inszenierung ist (gerade rund um den Schneider) schon ziemlich klamaukhaft, kriegt sich aber wieder soweit ein, dass ich nach der Pause doch wieder in den Saal ging. Die zweite Hälfte ist dann eindeutig besser.

Sehr gelungen fanden wir das Bühnenbild. Ein einfacher Quader lässt sich auf seinen vier Seiten aufklappen und stellt so den Ort dar. Mehr ist nicht notwendig. Beim Schneider ist die Ausstattung besonders schrill. Von der Kleidung bis zu den Tapeten ist alles in schwarz-gelbem Karo gehalten!

Manchmal (ebenfalls beim Schneider) hatten wir arge Verständnisprobleme. Einer der Bediensteten hatte einen starken englischen Akzent (warum auch immer), was ihn dann eben unverständlich machte.

Sehr angenehm – weil angenehm kurz – waren die Gesangseinlagen des Schusters bei seinem berühmten Kometenlied. Lediglich eine Strophe nahm auf die aktuellen Geschehnisse rund um die Signa und René Benko Bezug. Wir hatten schon Inszenierungen, da wurden diese Lieder endlos mit pseudowitzigen Zeilen überladen.



"Der Ignorant und der Wahnsinnige" von Thomas Bernhard

Vor mehr als 10 Jahren hatten wir dieses Stück schon einmal im Burgtheater. Ich hab diese Inszenierung in sehr guter Erinnerung. Dementsprechend war die Vorfreude auf dieses unser drittes Stück besonders groß – bei mir zumindest. Gundi, Fritz und Jutta sind tapfer mitgegangen, sie sind jetzt nicht sooo die Thomas Bernhard-Fans.

Aber wenn Martin Schwab den Vater gibt und Hermann Beil inszeniert, dann ist das einfach ein Pflichttermin – für mich  zumindest. 

Nicht zu vergessen Stefan Jürgens, den wir in Reichenau schon als General in Carl Zuckmayers "Des Teufels General" gesehen hatten. Hier gibt er den Wahnsinnigen und hat damit eine unglaubliche Textmenge zu bewältigen.

In langen Monologen redet er auf den beinahe blinden Vater der "Koloraturmaschine" ein. Nur damit die Zeit vergeht, hält er, der Arzt, dem Vater einen Vortrag über das richtige Vorgehen beim Sezieren einer Leiche. Der Vater, der Ignorant, wirft nur ab und zu ein Wort ein; viel öfter greift er aber zu der auf dem Tisch bereitstehenden Schnapsflasche. 

Die beiden warten auf die Tochter des Ignoranten in deren Garderobe; sie gibt an diesem Abend zum 222. Mal die Königin der Nacht; eine kleine, aber anstrengende Rolle in Mozarts Zauberflöte, für deren Koloraturen man eben spezialisiert sein muss. 

Genau diese Spezialisierung ist ihr Problem. Sie wird von Intendanten derart auf diese Rolle fixiert, dass es ihr schwer fällt, einmal eine andere zu bekommen. Als Konsequenz sagt sie spontan und kurzfristig ihre nächsten Engagements schlicht und einfach ab. 

Mag sein, dass meine Meinung durch meine Thomas Bernhard-Fanbrille etwas verzerrt ist. Aber das war für mich die beste der drei Aufführungen. Es treten ja nur wenige Personen auf, aber alle haben sie ihre Rollen ganz ganz toll ausgeführt!

Julia Stemberger als die Tochter könnte eine andere Gardobiere schon in den Wahnsinn treiben. Aber Frau Vargo (Therese Affolter) erträgt sie mit einer Ruhe, die bewundernswert ist.

Ebenso der Kellner Winter (Dirk Nocker), der die Primadonna und ihre Sonderwünsche ertragen und aushalten muss. 

* * * * *

Das Wetter hat auch mitgespielt, auch wenn es zu den Spielzeiten manchmal ein wenig nach Regen ausgesehen hat: Richtig nass geworden sind wir nie. Das eine Mal am Abend, bereits nach der Vorstellung, war uns dann schon egal. Aber mit nasser Kleidung oder Schirm ins Theater zu gehen, wäre schon lästig.

Alles in allem wieder drei schöne Tage in Reichenau! Wir freuen uns schon auf die nächste Saison!




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