Samstag, 5. Januar 2013

"Der Ignorant und der Wahnsinnige" im Burgtheater

An Thomas Bernhard scheiden sich die Geister, nach wie vor.
Wir kommen gerade von der Aufführung im Burgtheater zurück, gespielt wurde eben "Der Ignorant und der Wahnsinnige". Und die Meinungen von Jutta und mir zu diesem Stück könnten unterschiedlicher gar nicht sein.


Eine kurze, aber dennoch komplette Inhaltsangabe findet sich in der Wikipedia; kurz genügt, denn sehr viel Handlung gibt es nicht.
Das Stück besteht hauptsächlich aus Monologen des "Wahnsinnigen", hervorragend gespielt von Joachim Meyerhoff: seine Sprache, seine Gesten, sein Getue passen wirklich gut zur Rolle, ohne dabei aufdringlich oder übertrieben zu wirken - ganz große Klasse. Eine ganz große Leistung ist es auch, diese gewaltige Menge Text zu behalten; für mich einfach unvorstellbar!
Den "Ignoranten" spielt Peter Simonischek, in dieser Inszenierung mit Theaterbauch, Sonnenbrille und Perücke kaum zu erkennen, noch dazu, wo er etwas seine Stimme verstellt, wie ich meine. Vom Text her hat er wesentlich weniger als der Wahnsinnige, aber den bringt er pointiert herüber - super.
Sunnyi Melles spielt die Tochter des Ignoranten. Sie ist ja eine "Koloraturmaschine", und so gibt sie sich in ihrer Rolle auch: eine überspannte und gleichzeitig erschöpfte Primadonna, die die Königin der Nacht jetzt schon 222 Mal gesungen hat und diese Rolle daher einfach nicht mehr aushält. Großartig, wie sie mitten im Text scheinbar schwerelos immer wieder ein paar Koloraturen zwecks Übung einfließen lässt.
Stefan Wieland hat eine Doppelrolle als Frau Vargo und als Kellner Winter. Zwei kleine Rollen nur, aber die füllt er wiklich gut aus.

Das Bühnenbild war klar, einfach und passend; insgesamt eine sehr gelungene Inszenierung, der Schlussapplaus war dementsprechend.

So, das war jetzt meine Meinung.
Juttas Meinung möchte ich hier lieber nicht ausführlich wiedergeben, nur soviel: "was sollte das?" oder "schade, dass keine Pause war". An Thomas Bernhard scheiden sich eben die Geister.

Was soll ich also als Empfehlung abgeben? Wenn's nach mir geht: unbedingt anschauen!

Ob dir, lieber Leser, dieses Stück auch gefallen würde, könnte vielleicht der folgende kleine Test ermitteln.
Ich stelle jetzt Fragen zu vier Werken von Thomas Bernhard. Jedesmal, wenn du die Frage mit ja beantwortest, bekommst du 25%, ansonsten 0%:

  • Du hast "Holzfällen" gelesen und es hat dir gefallen. Der charakteristische, immer wieder kehrende Satz darin: "...dachte ich in meinem Ohrensessel" in sämtlichen denkbaren Abwandlungen.
  • Du hast "Alte Meister" gelesen und es hat dir gefallen. Der Kunstkritiker Reger kommt seit 30 Jahren jeden zweiten Tag ins Wiener Kunsthistorische Museum und sitzt dort vor immer dem gleichen Bild und räsoniert vor sich hin.
  • Du hat "Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen" gelesen oder gesehen und es hat dir gefallen. Claus Peymann kurz vor der Übersiedlung von Bochum nach Wien, seine ersten Tage als Burgtheaterdirektor, mit Thomas Bernhard nach dem Kauf einer Hose und mit Herrmann Beil auf der Sulzwiese am Kahlenberg.
  • Du hast "Der Theatermacher" gelesen oder gesehen und es hat dir gefallen. Der Staatsschauspieler Bruscon soll mit seiner Familie in einem Wirtshaussaal in Utzbach ein Stück aufführen. Im Laufe des Stückes entpuppt sich der "bedeutende Staatsschauspieler" als Familientyrann; kurz vor Beginn der Aufführung brennt der Theatersaal ab.
Jetzt zählst du deine Prozentpunkte zusammen; das Ergebnis ist gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dir das Stück im Burgtheater gefallen würde.

Alles klar?

PS: bei mir wäre das Ergebnis übrigens 100%.
PPS: im Burgtheater blieben die Notlichter eingeschaltet.


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