Dienstag, 22. Januar 2013

Paradies: Glaube

Kurz vor Weihnachten besuchten Jutta und ich den ersten Teil der Paradies-Trilogie (Paradies: Liebe), ich hatte damals davon berichtet. Gestern waren wir wieder im Kino, diesmal zum zweiten Teil mit dem Namen "Paradies: Glaube" (eine APA-Zusammenfassung bringt unter anderem der Standard). Dieser zweite Teil hat in der Öffentlichkeit wahrscheinlich noch mehr Staub aufgewirbelt als der erste; Wir sind aber beide der Meinung, dass dieser Film etwas zu viele Fragezeichen offen ließ, der erste Teil hat uns insgesamt besser gefallen.

Aber alles der Reihe nach.

Die Protagonistin Anna Maria verwendet den größten Teil ihrer Freizeit für die Remissionierung von Wien und Umgebung, indem sie mit ihrer Marienstatue von Wohung zu Wohnung geht, und versucht, die dort lebenden heidnischen Städter zum rechten Glauben zu bekehren.
Unterstützung bekommt sie dabei von "Radio Maria" und vor allem von ihrer Gebetsrunde "Legio Herz Jesu". Diese Runde versteht sich als Speerspitze der Missionierung und "schwört, dass Österreich wieder katholisch wird". Im Internet hab ich zu dieser Legio nichts gefunden, mir sind aber sofort Jugenderinnerungen hoch gekommen, da der spätere Wiener Kardinal Hans Hermann Groer und die Legio Mariae in Hollabrunn sehr aktiv waren. Zu Jesus hat Anna Maria zu Beginn eine intensive, liebevolle Beziehung, die sich mit Fortschreiten der Handlung immer mehr in eine erotische steigert. Mir ist spontan das Zitat von Madonna eingefallen: "Crucifixes are sexy because there is a naked man on it" (zu finden unter anderem in diesem Beitrag).

Soweit so klar, so realistisch.

Aber dann taucht plötzlich ihr an den Rollstuhl gefesselte moslemische Ehemann Nabil auf. Wie ein Dieb schleicht er sich in Anna Marias Leben (wieder) ein, indem er eines Nachts plötzlich im gemeinsamen Haus im Dunkeln sitzt und auf ihre Rückkehr von einer Missionstour wartet.
Und ab hier wird die Geschichte etwas gar arg konstruiert. Man erfährt später indirekt, dass er nach ihrer Hochzeit (auf dem Hochzeitsfoto ist er noch nicht gelähmt) einen Unfall hatte, der ihn als Querschnittgelähmten in den Rollstuhl zwang. Er muss noch eine Zeitlang mit ihr gemeinsam im Haus gelebt haben, denn auf den Stufen ist ein Treppenlift für Rollstühle montiert, den es ansonsten nicht geben würde. Aber danach dürfte er irgendwann zu seiner Familie (?) nach Ägypten (?) untergetaucht sein. Warum, bleibt offen, wir wissen es nicht. Hat er damals Anna Marias religiösen Wahn schon nicht mehr ausgehalten, oder ist sie erst nach seinem Verschwinden eben diesem Wahn verfallen? Denn als solchen würde ich ihr Verhalten bezeichnen: Selbstgeißelungen, Bußgürtel um den Bauch geschnallt, auf Knien durchs ganze Haus rutschen und eben die schon erwähnte erotische Beziehung zu ihrem "schönen, geliebten Jesus" sind normaler Weise nicht Bestandteil einer noch so christlichen Lebensführung. In einer Szene erzählt Anna Maria, dass sie durch seinen Unfall erst zur Religion gefunden hat, aber der Zeitpunkt bleibt eben offen.

Anna Maria versteht die Rückkehr ihres - noch dazu moslemischen, aber das war bei der Hochzeit anscheinend noch egal - Mannes als Prüfung, sie muss ihr persönliches Kreuz auf sich nehmen - und sie ist zunächst auch bereit dazu. Allerdings nimmt der Mann immer mehr Raum in Anspruch, tauscht häusliches Christentum durch häuslichen Islam, indem er sämtliche Kreuze und das Papstfoto in der Küche abmontiert sowie das verhüllte Bild der Kaaba wieder enthüllt. Das Jesus-Foto auf ihrem Nachttisch tauscht er durch ihr gemeinsames Hochzeitsfoto, was Anna Maria umgehend rückgängig macht. Und er wird Anna Maria gegenüber immer fordernder und immer brutaler, was letzlich in einer Vergewaltigung seiner immer noch Ehefrau gipfelt.

Der gekünstelte Gegensatz Christentum / Islam und die ungeklärten Fragen wirkten auf uns, wie gesagt, sehr konstruiert. Dieses Manko wird aber wett gemacht einerseits durch die ganz tollen darstellerischen Leistungen von Maria Hofstätter (allein ihre Frisur ist schon sehenswert) und Nabil Saleh (super Performance, auch wenn er den Ungustl spielen muss)! Und vor allem durch die Szenen, in denen Anna Maria auf Mission unterwegs ist. Die Missionierten sind großteils Laiendarsteller und machen ihre Sache ganz ausgezeichnet.

Insgesamt also ein Ulrich Seidl-Film in seiner ganz typischen Filmsprache: mit langen Einstellungen und dem Blick von hinten auf seine Darsteller, der sie auch bei Bewegung von hinten verfolgt. Der Film hat sicherlich sehr gute Szenen, dazwischen vielleicht auch etwas Längen, aber vor allem eine - für unseren Geschmack - übertrieben gekünstelte Geschichte.

Trotz allem sehenswert - absolut. Ein Film, wie man ihn nicht alle Tage sieht!

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