Freitag, 21. April 2017

Eine Woche in Breslau und Krakau - Teil 2

Teil 2 führt uns zunächst zu den Friedenskirchen in Schweidnitz und Jauer und anschließend nach Görlitz. Das war ein langer Tag mit etlichen Kilometern Autofahrt!

Wieder zurück in Breslau werden wir dort noch weitere Sehenswürdigkeiten besuchen.

Friedenskirche in Schweidnitz

[Update 22.4.: Artikel der F.A.Z. zu Görlitz verlinkt (am Ende des Görlitz-Abschnittes)]


Montag, 3.April

Für diesen Tag hatten wir uns wirklich viel vorgenommen: Drei Stationen und dazwischen auch noch mehr oder weniger lange Autofahrten.

In Schweidnitz und Jauer gibt es noch sogenannte Friedenskirchen; beide zusammen sind übrigens UNESCO-Welterbestätten - zu Recht, wie wir gleich sehen werden. Es gab noch eine dritte Kirche in Glogau, die ist aber 1758 abgebrannt.

Die Schlesischen Friedenskirchen waren ein Zugeständnis der katholischen Habsburger an die dortigen Protestanten. Allerdings war es an mehrere Bedingungen geknüpft: es durften nur Holz, Stroh und Lehm verwendet werden, sie durften keinen Turm und keine Glocken haben, die Errichtung musste innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein und die Kosten hatten die Gemeinden zu tragen. Trotz dieser harten Auflagen gelang es, riesige Fachwerkbauten zu errichten, die mehreren tausend Personen Platz bieten. Wirklich beeindruckende Bauwerke!

Schweidnitz

Die Kirche in Schweidnitz (polnisch Świdnica) ist innen so richtig barock ausgestaltet, obwohl sie protestantisch ist - sehr ungewöhnlich! Die Kirche ist riesig, sie bietet auf mehreren Etagen 7500 Personen Platz! Trotz dieser Größe mussten jeden Sonntag mehrere Messen gelesen werden, weil das Einzugsgebiet für diese Kirche so groß war!

Gewaltiger Fachwerksbau aus Holz

Der Innenraum

Sehr barock ausgestalteter Chor und Orgel

Altar

Kanzel

Rund um die Kirche gibt es noch einen aufgelassenen Friedhof

Jauer

Die zweite Kirche in Jauer (polnisch Jawor) ist etwas kleiner als die in Schweidnitz (sie fasst trotzdem noch 5500 Personen) und innen wesentlich schlichter gehalten. In dieser Kirche konnten wir auch auf die nächsthöhere Etage gehen.

Friedenskirche in Jauer

Innenraum. Sehr schön zu erkennen sind die 4 Etagen für die Kirchenbesucher

Ebenfalls sehr beeindruckende Holzkonstruktionen

Schon noch barock, aber nicht mehr sooo extrem wie in Schweidnitz

Aufgang nach oben

Blick von oben

Taufbecken

Noch einmal die Kirche als Ganzes

Eines der Nebengebäude war Wohnhaus für den Totengräber

Von Jauer führte uns eine längere Autofahrt in den Westen bis an die deutsche Grenze nach Görlitz.

Görlitz

Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Stadt Görlitz (polnisch Zgorzelec) in einen polnischen und deutschen Bereich geteilt; getrennt sind sie durch die (Lausitzer) Neiße, dem neuen Grenzfluss. Da sowohl Polen als auch Deutschland im Schengenraum liegen, hat die Grenze im Alltag ihren Schrecken verloren. Wir hatten das Auto in Polen geparkt, gingen über die Brücke und waren schon im deutschen Teil von Görlitz.

Die Stadt wurde im Krieg vor Zerstörungen verschont, daher ist die Altstadt sehr gut erhalten und ein wirkliches Juwel in Sachsen (der interessantere Teil liegt in Deutschland).

Blick von der polnischen Seite auf die deutsche.
Im Vordergrund die Neiße, im Hintergrund die dominierende Kirche Peter und Paul

Nach dem 2. Weltkrieg bildete die Neiße die neue Grenze zwischen Polen und Deutschland (Oder-Neiße-Linie).
Sie wurde übrigens erst nach der Wende völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben!



Reliefhaus mit biblischen Motiven

Rathausturm mit astronomischer Uhr

Aufgang zum Rathaus

Haus am Untermarkt

Die Dreifaltigkeitskirche am Obermarkt

Links im Hintergrund die Kaisertrutz, rechts der Reichenbacher Turm

Kaisertrutz

Der Dicke Turm

Haus am Untermarkt

Portal zur Peter und Paul-Kirche

Haupteingang

Wer sich äffisch oder schweinisch benimmt ...
... kommt an den darunter liegenden ...

... Pranger

Gundi als Versuchskaninchen
Das Waidhaus diente früher als Waidspeicher. Waid ist eine Pflanze, die früher zum Färben verwendet wurde. Tuch wurde dadurch blau.

Noch einmal das Gesamtensemble mit Waidhaus (links) und Peter und Paul-Kirche, bevor es wieder zurück nach Breslau ging.

Noch ein ganz aktueller Einschub: Ich hab die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen gebeten, ebenfalls einen Artikel zu Görlitz zu verfassen. Und wirklich, sie haben ganz zeitgerecht geliefert! Vielen Dank!

Dienstag, 4.April

Am Vormittag gingen wir noch einmal die Altstadt von Breslau ab und ließen uns ein wenig mehr Zeit dafür, als das bei einer Stadtführung möglich ist. Vor allem die Fotografen sind ja bei Führungen hin- und hergerissen. Einerseits möchten sie bei der Führung dabei sein, um nichts zu versäumen; andererseits brauchen sie Zeit für Fotos. Die ist aber immer sehr knapp, denn die Karawane zieht inzwischen weiter, sobald zu einem Gebäude oder Denkmal alles gesagt ist. Also verliert man den Anschluss an die Gruppe und versäumt wieder das eine oder andere - womit sich die Katze in den Schwanz beißt.

Bankomat-Zwerg


Eugeniusz Get-Stankiewicz

Eugeniusz Get-Stankiewicz (leider nur polnischer Artikel verfügbar) war Künstler in Breslau, der in der Stadt zahlreiche Spuren hinterlassen hat. Er war ein kritischer Geist und hat sich auch in der kommunistischen Zeit kein Blatt vor den Mund genommen. Er bewohnte zuletzt zu einem Spott-Mietpreis das "Gretel"-Haus neben der Elisabeth-Kirche, auf dem auch einige seiner Werke zu sehen sind.

Zwei der Häuser rund um die Elisabethkirche (im Hintergrund) sind noch erhalten. Links Gretel, rechts Hänsel
Er selbst war zwar farbenblind, aber er markierte alle Stellen, die seiner Meinung nach auszubessern wären, mit Farbtupfern.
Oberhalb der Farbkleckse eines seiner bekanntesten Werke:

"do it yourself". Sehr blasphemisch für das katholische Polen!

An einer anderen Wand findet sich sein Selbstporträt mit Stinkefinger.
Das Gitter an der Fingerspitze dient deren Schutz vor Beschädigung!

Ein weiteres Werk sieht so harmlos aus, hat oder hatte es aber ganz schön in sich.

1+1=2
Das Gitter zeigt uns schon, dass dieses Werk heftig umkämpft war!
Gemeint ist, dass 1+1 immer 2 ergibt, auch wenn die Partei behauptet, dass es auch 3 oder 5 sein kann. Dieses Werk hat vor der Wende jeder in Breslau verstanden, daher ließ die Partei es auch umgehend abmontieren!

Neben dem Gretel-Haus befindet sich der Aufgang, aus dem sämtliche Zwerge Breslaus kommen!

Zwerge

Jetzt ist es aber höchste Zeit, etwas über die Breslauer Zwerge zu erzählen.

Begonnen hat alles mit der "Orangen Alternative" in den 1980er Jahren. Die war in ihrem Aktionismus sehr kreativ. So protestierten Mitglieder der Gruppe eines Tages in Zwergenkostümen und wurden prompt verhaftet - die Partei war da eher humorbefreit. Was stand am nächsten Tag notgedrungen in der Zeitung? "Polizei verhaftet Zwerge!". Somit hatte die Gruppe ihr Ziel erreicht und die Obrigkeit und die Partei der Lächerlichkeit preisgegeben!

Das sah dann etwa so aus.
Noch einmal das Foto aus dem Konspira-Lokal (Orange Alternative - Freies Breslau)


Das mit den Zwergen wurde dann zum running gag, immer wieder traten sie in Erscheinung. Wenn irgendwo ein Statement der Opposition an eine Hauswand gepinselt wurde, wurde es von der Partei umgehend weiß übermalt. Was gewissermaßen einer Einladung gleichkam, diese weiße Fläche mit Zwergen und weiteren Parolen zu verzieren. Und so weiter. Erst mit der Wende 1989/90 hat sich dieses Katz-und-Maus-Spiel erübrigt.

Lange nach der Wende (2001) tauchte in Breslau plötzlich wieder ein Zwerg auf, diesmal aber als Projekt der Kunsthochschule. Seither wurden immer mehr Zwerge in der Stadt platziert und es werden immer noch mehr. Inzwischen gehören sie zum Stadtbild von Breslau und gelten als Touristenattraktion. Es gibt auch schon Apps fürs Smartphone, die das Auffinden erleichtern und mit denen man Zwergenfunde dokumentieren kann, etc. Sie sind alle aus Bronze und ca. 30cm groß und können einem jederzeit in der Stadt begegnen!

Nach diesem kleinen Exkurs weiter mit unserem Rundgang. Wir bewegen uns von Hänsel und Gretel weiter zur ehemaligen Fleischbank. Hier wurde früher frisch Geschlachtetes verkauft, heute beherbergen die kleinen Geschäfte der "Galerie" Läden für Kunsthandwerk.

Eingang zur Galerie

Dort hat man den Tieren ein Denkmal gesetzt

In den ehemaligen kleinen Fleischerläden ...

... wird heute Kunsthandwerk verkauft

Wir gehen weiter Richtung Markthalle, Sandinsel und Dominsel und kommen unterwegs beim alten Gefängnis vorbei.

Altes Gefängnis

Im Innenhof ist heute ein Lokal untergebracht

Ein Gefängniszwerg darf natürlich nicht fehlen
Auf dem Weg zur Markthalle

In diesem Lokal sind Paare in jeglicher Zusammensetzung willkommen!

In der Markthalle

Kränze muss man nicht im Voraus bestellen, sondern kann sie "von der Stange" gleich mitnehmen

Fleisch ist hier wesentlich billiger als bei uns
Auf der Sandinsel steht ein riesiges Denkmal für Kardinal Kominek. Er verfasste in den 1960er-Jahren einen Hirtenbrief für seine Kollegen in Deutschland, in dem er um Vergebung für die Vertreibungen nach dem Krieg bittet ("wir vergeben und bitten um Vergebung"). Er hat damit einen wesentlichen Beitrag zur deutsch-polnischen Versöhnung geleistet!

Kardinal Kominek

Die Dombrücke führt über die Oder auf die Dominsel, die heute eigentlich keine Insel mehr ist. Auf ihr befindet sich - richtig geraten - der Dom von Breslau! Ein Lift bringt einen bequem nach oben und von dort hat man herrliche Sicht auf die Stadt!

Dombrücke mit Dom im Hintergrund

Im Inneren des Doms

Glasfenster

Blick auf die Sandinsel

und auf die Oder

Nach der Mittagspause machten wir noch einmal einen großen Rundgang. Er führt uns vom Hotel zum Musikpalast, am Stadtgraben entlang und wieder auf den Rynek. Noch eine kurze Rast im Schweidnitzer Keller und schon ist der Tag wieder vorbei!

Der Musikpalast (genauer: Nationales Forum für Musik) wurde erst 2015 fertig gestellt und bietet im größten Saal etwa 1800 Personen Platz; von außen jedenfalls ein imposanter Bau!

Musikpalast

Zwergen-Orchester

Zwergen-Musikerinnen

Der Musikpalast liegt am alten Stadtgraben.

Wir gehen den Stadtgraben entlang bis zur Franziskanerkirche. Auf dem Weg dorthin kommen wir an zwei bemerkenswerten Denkmälern vorbei.

Das erste ist Witold Pilecki gewidmet. Die Biografie von Witold Pilecki ist gelinde gesagt schillernd und beinahe unbeschreiblich. Er war im polnischen Widerstand tätig und ließ sich in das KZ Auschwitz als Gefangener einschleusen. Selbst dort gelang es ihm, eine Widerstandsgruppe aufzubauen, die regelmäßig Berichte nach Warschau übermitteln konnte! 1943 gelang ihm sogar die Flucht aus dem KZ. Sein Plan war, das KZ zu befreien, konnte aber die anderen Widerständler davon nicht überzeugen. Ab 1943 bereitete er in Warschau den Aufstand mit vor, nach dem Aufstand kam er in deutsche Kriegsgefangenschaft. 1947 begann er, sowjetische Gräueltaten zu dokumentieren. Das war dann allerdings zuviel: er wurde als Spion angeklagt und in einem Schauprozess zum Tod verurteilt und auch tatsächlich hingerichtet.

Ich berichte deshalb so ausführlich über ihn, weil erstens die Geschichte wirklich unglaublich ist und zweitens sein Bericht von 1945 seit langem auf meiner Liste zu lesender Bücher steht. Als ich seinen Namen im Denkmal eingraviert sah, klingelte es sofort im Hinterkopf.

Denkmal für Witold Pilecki

Das zweite Denkmal auf der Stadtgraben-Promenade ist den Opfern des Stalinismus gewidmet.

Franziskanerkirche
Ein kleiner Abstecher nach Süden bringt uns zum "Übergang". Das ist eine Skulpturengruppe, die an zwei Seiten einer großen Straßenkreuzung steht. Auf der einen Seite verschwinden die Personen im Untergrund wie in einer unsichtbaren Unterführung, auf der anderen Seite kommen sie wieder an die Oberfläche.

Hier tauchen die lebensgroßen Skulpturen in den Untergrund

Gundi versinkt auch gerade im Boden

Auf der anderen Seite kommen sie wieder herauf

Wir gehen wieder nach Norden zum Rynek und machen im Schweidnitzer Keller Rast. Die Reiseführer in Buchform und die Stadtführerin Sandra meinen, man kann den Keller besuchen, muss es aber nicht. Wir wollten wissen, was da dran ist.

Auf dem Weg zum Rynek kommen wir noch an der Breslauer Oper vorbei

Im Teatr Polski wird Peter Turrini aufgeführt!


Im Schweidnitzer Keller wurde seit eh und je Schweidnitzer Bier ausgeschenkt. Der Keller im Breslauer Rathaus ist seit dem 13. Jahrhundert bewirtschaftet und ist die älteste Gastwirtschaft Polens. Sein heutiger Zustand ist allerdings Mitleid erregend, wir können die kritischen Meinungen nur teilen.

Nicht sonderlich geschmackvoll, aber das geht noch

Das geht nicht mehr - gar nicht!

Wir verlassen diese Scheußlichkeit wieder und gehen zum Hotel zurück. Gleich gegenüber vom Hotel befindet sich die Storchensynagoge. Sie ist heute kein Tempel mehr, es gibt es dort aber eine frei zugängliche Ausstellung zum Leben der Juden in Breslau über die Jahrhunderte.

Früher Synagoge, heute Veranstaltungsraum



Das war Breslau in zwei Tagen plus ein Ausflug nach Schweidnitz, Jauer und Görlitz. Am nächsten Tag steht wieder eine längere Autofahrt auf dem Programm. Sie führt uns zunächst nach Tschenstochau und danach weiter nach Krakau.

Das alles gibt es aus Platzgründen aber auf weiteren Posts. Hier geht's zu Teil 3 des Reiseberichts.

3 Kommentare:

  1. Das ist von Dir wieder wunderbar nachrecherchiert! Und wie immer ein Vergnügen dank Deines Erzählstils die gemeinsame Reise, diesmal im Warmen und Trockenen, nachzulesen und damit noch einmal zu erleben!
    Gundi

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  2. Eine interessante Reise ins schöne Polen, das mir sehr ans Herz gewachsen ist! Ich hoffe, das Bier war zu eurer Zufriedenheit :)
    Zur Vollständigkeit möchte ich eine Sehenswürdigkeit in Breslau hinzufügen, die mir fehlt, weil es mich besonders beeindruckt hat... Das Panorama Raclawicka ist ein 115mx5m Gemälde, das eine Schlacht von Polen gegen Russland mit General Unaussprechlich (Kosciuszko) zeigt. Vielleicht beim nächsten Mal, auf der Durchreise nach Gdansk (Danzig)!
    Alles gute, LG Richard

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    1. Stimmt, das Panorama haben wir nicht besucht. Es stand zwar auf unserer Liste, ist dann aber aus Zeitgründen leider durch den Rost gefallen.

      Dafür haben wir den General ja (fast) leibhaftig in Krakau erlebt! (s. Teil 4)

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