Dienstag, 27. Juli 2021

Amos Oz: Judas ★★★★☆

Amos Oz: Judas  ★★★★☆

Cover: Suhrkamp

Amoz Oz ist einer der bekanntesten und bedeutendsten Schriftsteller Israels. Als Kind und Jugendlicher hat er die entscheidenden Kriege und Krisen in Jerusalem hautnah miterlebt: 1948 die Unabhängigkeit und unmittelbar darauf folgend den Unabhängigkeitskrieg und 1956 dann den Suezkrieg. Alle diese Ereignisse waren und sind für die gesamte Region einschneidend, traumatisierend und wichtig – bis heute. Es war für mich daher etwas überraschend, dass er dieses Buch erst 2014 veröffentlichte, obwohl es ja genau um diese Dinge im Buch geht.

Judas kommt auch vor, allerdings nur zu einem vergleichsweise geringen Teil. Und so interessant und spannend das Buch auch zu lesen war – genau das ist das Problem, das ich mit ihm habe.

Schmuel Asch kommt mit seiner Master-Arbeit nicht recht weiter, seine Eltern können ihm sein Studium nicht mehr weiter finanzieren, seine Freundin hat ihn verlassen und bereits jemand anderen geheiratet. Also sucht er sich einen Job, weit abseits vom Studium. Er zieht in ein Haus in Jerusalem ein, bekommt dort Kost und Logis und auch noch ein kleines Gehalt. Seine Aufgabe besteht darin, den alten und körperbehinderten Gerschom Wald täglich mehrere Stunden zur Verfügung zu stehen: Für Gespräche, er soll ihm vorlesen und ihm auch sonst ein wenig zur Hand gehen. Im Haus lebt auch eine geheimnisvolle und attraktive Frau namens Atalja, die vom Alter her Schmuels Mutter sein könnte. Eine recht gute und genauere Inhaltsangabe gibt es in der Wikipedia.

Dieses Setting ist natürlich so aufgebaut, dass sich darin endlose Diskussionen, Rede und Widerrede abhandeln lassen – was sie auch ausführlich tun. 

Eben über die Staatsgründung, ob sie gut und sinnvoll war, ob es vielleicht andere Lösungen gegeben hätte; wie es den Arabern dabei geht, wenn plötzlich Schiffsladungen von Menschen kommen, sich ihr Land einverleiben und sich dabei auf auf ein (ihnen) heiliges Buch berufen. Und natürlich über den Unabhängigkeitskrieg, der im Buch erst 11 Jahre zurück liegt. Wie Schmuel später erfährt, ist die geheimnisvolle Atalja Abrabanel Gerschom Walds Schwiegertochter, sein Sohn Micha und Ataljas Ehemann kam in diesem Krieg 1948 allerdings grausam zu Tode. Seither liegen Schweigen und Düsternis über dem Haus. Noch dazu, weil Gerschom Wald ein glühender Vertreter der Staatsgründung war, Atalja und ihr (bereits verstorbener Vater) aber strikt dagegen waren.

Zu allem Überdruss verliebt sich Schmuel auch noch in Atalja, was aber recht einseitig bleibt, denn die verbitterte Atalja hat jedes Interesse und Vertrauen in Männer verloren. 

Diese Themen und Gespräche darüber fand ich äußerst interessant; viele davon hab ich unter den dargebrachten Perspektiven noch nicht so gesehen.

Dazwischen gibt es aber noch andere Kapitel. So ganz lässt die Master-Arbeit Schmuel ja doch nicht los. Sein Thema ist "Jesus aus dem Blickwinkel der Juden". Dabei kommt er zum Schluss, dass in der  jüdischen Literatur der Vergangenheit Jesus zu sehr im Mittelpunkt stand, dabei aber eine wichtige Figur übersehen oder vernachlässigt wurde – eben Judas. Die These, die Schmuel (und der Autor) da entwickelt, fand ich wirklich interessant.

Er meint, Judas, ein wohlhabender Mann aus der Priesterklasse, wurde von den Jerusalemer Priestern beauftragt, sich diesen Jesus einmal näher anzusehen. Der ist zwar (aus ihrer Sicht) nur ein weiterer Sektierer und falscher Prophet unter vielen, aber sicher ist sicher. Judas schleust sich in die Jüngerschaft ein, die bis jetzt nur aus armen Bauern und Fischern besteht. Er beobachtet, wie Jesus das eine oder andere Wunder vollbringt und ist letztlich fasziniert von diesem Mann! 

Von einem Dorf Galiläas weit im Norden zum nächsten zu ziehen, hält Judas aber für Zeitverschwendung. Er überredet Jesus, nach Jerusalem zu gehen, nur dort wird jemand wie er wirklich wahrgenommen. Und dort soll Jesus dann das ultimative Wunder vollbringen: Er soll sich kreuzigen lassen und im letzten Moment vom Kreuz herabsteigen! Das wäre ein Wunder, das die Jerusalemer wirklich in Staunen versetzen würde! Diese Nachricht würde sich von der Hauptstadt in Windeseile über das ganze Land verbreiten!

Jesus ist aber skeptisch – no na. Ist er wirklich der geeignete Mann dafür? Aber Judas nimmt die Zügel in die Hand. Er organisiert bei den Juden und Römern die Kreuzigung, was gar nicht so einfach war und viel Überzeugungsarbeit und Bestechungsgeld in Anspruch nahm. Aber es gelingt ihm. Er führt Jesus zum Kreuz, so wie das seinerzeit Abraham mit seinem Sohn Isaak gemacht hat. Und er ist voll davon überzeugt, dass Jesus, wie vereinbart, rechtzeitig von diesem Kreuz absteigt.

Als Jesus aber stirbt wie jeder andere auch auf dem Kreuz, ist Judas entsetzt über seinem Irrtum. Er geht noch in ein Gasthaus, wirft anschließend die 30 Silberlinge über die Tempelmauer, sucht sich einen Feigenbaum und erhängt sich.

Eine wirklich spannende These. Diese Judasgeschichte nimmt im Buch aber nur geschätzte 10-20% ein. Und damit bin ich endlich beim Problem, das ich mit diesem Roman habe.

Ohne diese Judasgeschichte wäre schon genug Stoff für ein Buch vorhanden. Die Judas-These trägt zur Dramaturgie im Roman fast nichts bei, man könnte sie genausogut weglassen. Meiner Meinung nach passt also der Titel nicht, und das Buch ist daran zu 80% vorbeigeschrieben. Schade.

Ich nehme an – aber das ist wirklich meine eigene Interpretation, dass Amos Oz diese These unbedingt unterbringen wollte, sie aber für ein eigenes Buch nicht gereicht hätte.

Alles in allem aber ein wirklich interessantes Buch mit interessanten Themen, das ich nur jedem weiter empfehlen kann!



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