Mittwoch, 30. September 2020

Andreas Maier: Das Haus ★★★★☆

Andreas Maier: Das Haus ★★★★☆

(Band 2 der Autobiografie)


Cover: Suhrkamp



Zeiten des Umbruchs. Kurz vor der Geburt des Autors sterben dessen Urgroßvater und Großvater, sodass plötzlich seine Mutter den Steinmetzbetrieb der Familie übernehmen muss. Nach der leichten und einfachen Geburt von Andreas wird aber das alte Haus in der Uhlandstraße in Bad Nauheim doch zu klein. Außerdem möchte die neue Firmenchefin näher an ihrem Betrieb sein.

Also wird direkt neben dem Firmengelände in Friedberg ein neues Familienhaus gebaut. Der Umzug (1970) in dieses neue Haus ist eine Umstellung für alle, aber für den kleinen Andreas ganz besonders.

Zu dieser Zeit ist er etwa zweieinhalb Jahre und er spricht nicht, also praktisch nicht. Organisch ist alles in Ordnung, es sind aber Züge eines Autismus zu erkennen. In Gesellschaft fühlt er sich unwohl, am besten gefällt es ihm, seinem älteren Bruder beim Basteln zuzusehen. Der hat dafür einen eigenen Raum im Keller, in dem diverseste Fahr- und Flugzeuge entstehen.

Die dann die Schwester (das mittlere der drei Kinder) der beiden mit viel Genuss und viel Geschrei wieder zerstört. Dabei geht sie durchaus planmäßig vor und wartet etwa, bis ihr Bruder sein Zimmer verlassen hat, um sich dann ungestört der Vernichtung hingeben zu können. Sie ist außerdem furchtbar eifersüchtig auf ihren älteren Bruder; immer muss sie das gleiche bekommen wie er, nur dass die Dinge nach kürzester Zeit wieder uninteressant und zur Seite gelegt werden.

Es gibt im Buch zahlreiche Szenen und Situationen, die außerordentlich präzise und witzig beschrieben werden.

Da wäre einmal der Tag im Kindergarten. Es bleibt beim ersten Kindergartentag, der auch gleichzeitig der letzte ist. Zu sehr nimmt die Panik von Andreas Besitz, als dass die Eltern das noch einmal probieren würden.

Bei der Schule geht das nicht mehr so einfach. Zwar hat er auch hier sehr viele Fehltage, aber ab und zu muss er ja doch hin. Die Stunde vor der Schulglocke ist wirklich super beschrieben. Wie er wach wird und die Sekunden bis zur Glocke zählt; bis dann seine Mutter kommt und ihn zum Frühstück holt; wie er nur sehr schwer runter gehen kann, weil sich schon wieder der Kloß im Hals bildet (den globus hystericus gibt's wirklich!); bis ihn seine Mutter dann in der Schule abliefert. Die sozialen Gefüge und Kontrollen unter den Schülern sind einfach super getroffen und auf den Punkt gebracht.

Beim Frühstück kann es sein, dass sein Vater total lethargisch am Tisch sitzt. Dann wissen alle, dass er seinen Migränetag hat und einfach unfähig ist, zur Arbeit zu fahren. Auch wieder genau und toll beschrieben, wie seine Frau ihn wieder ins Bett bringt und wie der Arbeitstag in der Brauerei wohl ablaufen wird, wenn der Chef fehlt!

In der Kindergartenzeit war er noch zu jung dazu; aber jetzt im Schulalter sind Besuche der Großeltern natürlich höchst gefährlich. Dann wird über den Problemandreas hinweg diskutiert, was denn mit ihm nicht in Ordnung sein könnte.

Nach einigen Jahren der Grundschule geht es ihm offenbar wesentlich besser; aber auch nur, wenn er mit seinem Fahrrad durch die Siedlung fährt. Inzwischen hat er sich sogar mit einem Mädchen angefreundet, das ebenfalls per Fahrrad unterwegs ist. Zusammen verbringen sie schöne und abenteuerliche Stunden am inzwischen geschlossenen Steinmetz-Gelände. Auch ein Fahrradbastler, die Metzgerin und ein weiteres Ehepaar sind inzwischen zu seinen Freunden geworden, sodass für unseren Andreas also noch Hoffnung besteht.

Auch dieses Buch hab ich wieder mit großem Interesse und Vergnügen gelesen. Es macht einfach Lust auf mehr. Glücklicherweise sind ja noch mehrere Bände in der Warteschlange.

* * * * * * *





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen