Samstag, 26. September 2020

Hilary Mantel: Spiegel und Licht ★★★★☆

 Hilary Mantel: Spiegel und Licht ★★★★☆


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Von den ersten beiden Bänden "Wölfe" und "Falken" der Tudor-Trilogie von Hilary Mantel war ich sehr begeistert. Ich konnte es kaum erwarten, bis der dritte Band erschien. 2018 sollte es bereits soweit sein, aber die Autorin vertröstete uns auf später. Aber Anfang 2020 war es dann soweit. Bis dann auch die ebook-Version erschien, dauerte es zwar noch ein wenig, aber Mitte Juni ging es endlich los.


Wie bitte? Mitte Juni bis Ende September, da sind ja mehr als drei Monate! Stimmt. Und wenn ich näher darüber nachdenke, kommen drei Faktoren in Frage, warum das diesmal soo lange gedauert hat.

Zum einen habe ich weniger Bahnfahrten als früher; da waren eben die Zeiten vorgegeben und zum Lesen reserviert. Zu Hause muss ich mich zwingen, mich hinzusetzen und das Buch in die Hand zu nehmen – und das funktioniert nicht so recht.

Zweitens reden wir bei diesem Buch von 1200 Seiten. Gut, ist zwar viel, aber früher hätte ich eben nicht so lange gebraucht.

Und drittens ist es das Buch an sich.

Wie in den ersten beiden Bänden steht auch hier Thomas Cromwell im Mittelpunkt des Geschehens. Band zwei endete mit der Hinrichtung von Anne Boleyn. Band drei schließt zeitlich daran an und endet wieder mit einer Hinrichtung, diesmal aber von Thomas Cromwell selbst. 

Diese vier Jahre werden in unzähligen Einzelszenen mit ebenso vielen handelnden Personen eben auf 1200 Seiten ausgebreitet. Wobei der Großteil entweder Thomas, Henry, Anne, Jane, Mary oder Catherine heißt; alle mit allen irgendwie verwandt sind; oft mehrfach verheiratet waren; und ein und dieselbe Person unter mehreren Namen auftauchen kann (Thomas Howard als Norfolk, sein Halbbruder ebenfalls Thomas Howard als Tom Truth, Charles Brandon als Suffolk, Jane Boleyn als Lady Rochford, Lady Mary triftt gleich auf mehrere Damen zu, usw.).

In den ersten beiden Büchern waren die Szenen besser erkennbar. Hier wurde die Schwierigkeit noch einmal erhöht, indem es diese klaren Schnitte nicht mehr gibt; sondern von einem Absatz zum anderen gibt es einen Sprung bei Personen und/oder Ort, glücklicherweise weniger bei der Zeit: Es gibt zwar vereinzelt Rückblenden, aber im Großen und Ganzen wird die Handlung zeitlich kontinuierlich erzählt.

Obwohl es so viele Szenen gibt, in denen Charaktere deutlich gemacht werden könnten: Die Personen blieben diesmal erstaunlich blass, vor allem die in direkter Umgebung Cromwells. Als es zu seiner Verhaftung kommt, war ich als Leser völlig überrascht, wer nun Freund oder Feind Cromwells ist. Er selbst und seine unmittelbaren Mitarbeiter waren das offenbar nicht, die kannten das soziale Gefüge besser als wir Leser. In den ersten beiden Teilen ist die Charakterisierung wesentlich besser gelungen.

Es gibt meiner Meinung nach also einen deutlichen Bruch zwischen den ersten beiden und dem dritten Teil. Aber auch hier gibt es wieder ganz ausgezeichnet gut gelungene Szenen. Vor allem gegen Ende, in der Zeit, als König Heinrich seine vierte Ehefrau Anna von Kleve zum ersten Mal leibhaftig sieht, und nicht nur auf einem Schnappschuss von Hans Holbein, und die Wochen danach bis zu Cromwells Ende. Heinrich findet seine neue Frau unattraktiv, im Bett passiert gar nichts. Dass Cromwell diese Tatsache angeblich verbreitet hat und dass er ihm überhaupt diese Ehe eingeredet hat, kreidet ihm Heinrich schwer an. Eine Unvorsichtigkeit Cromwells (er lässt seinen großen Widersacher Thomas Howard ohne einen Cromwellschen Aufpasser nach Frankreich) sowie eine daraufhin folgende Intrige des katholischen Lagers bringen ihn endgültig zu Fall.

Am 28. Juli 1540 fällt sein Kopf unter dem Beil. Am gleichen Tag wird die (fünfte) Ehe Heinrichs mit Catherine Howard geschlossen, nachdem die Ehe mit Anne von Kleve ein paar Tage zuvor annulliert wurde.

Obwohl ich jetzt 2400 Seiten Tudor-Geschichte intus habe und der dritte Teil schon große Mühen abverlangte, würde ich mir eine Fortsetzung wünschen. Zumindest bis zum Tod Heinrichs VIII. Aber auch danach bleibt es spannend. Sieben Jahre ist sein Sohn (aus dritter Ehe) Edward König. Der treibt den Protestantismus voran, stirbt aber jung und es kommt Heinrichs Tochter (aus erster Ehe) Mary auf den Thron (ja, Jane Grey gab's auch ein paar Tage). Die will das Rad zurückdrehen und geht dabei so radikal vor, dass ihr der Name "Bloody Mary" haften bleibt. Nach deren Tod kommt Heinrichs Tochter (aus zweiter Ehe) Elisabeth zum Zug. Der letzten Herrscherin aus dem Haus Tudor gelingt es dann, dem Hof ein bisschen Ruhe zu bringen – soweit das halt möglich ist.

Ich hab keine Ahnung, ob Hilary Mantel in dieser Richtung etwas plant. Aber es wäre aus meiner Sicht ziemlich naheliegend und Stoff gäbe es genug. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen darüber!






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