Samstag, 13. Juni 2020

Andreas Maier: Das Zimmer ★★★★☆

Andreas Maier: Das Zimmer ★★★★☆

(Band 1 der Autobiographie)


Cover: Suhrkamp


Der Weg zum Autor Andreas Maier war einigermaßen verwickelt.

Am 25. April starb Raimund Fellinger, der Cheflektor beim Verlag Suhrkamp; einen Nachruf bei Suhrkamp auf ihn gibt es übrigens hier. Alle Beschreibungen und Infos, die man im Internet über ihn findet, deuten darauf hin, dass er sowas wie die Seele des Verlages war und für viele Autoren ein väterlicher Freund und Begleiter. Die Frankfurter Allgemeine veröffentlichte einen Nachruf auf ihn, verfasst eben von Andreas Maier (Artikel leider hinter einer Bezahlschranke). Na schön, Andreas Maier eben. Es muss aber schon etwas Besonderes an ihm sein, dass er in der FAZ einen Nachruf veröffentlichen darf. Also hab ich ein wenig weiter gesucht.

Erste Anlaufstelle wie immer Wikipedia; dieser Artikel klang schon einmal recht interessant, vor allem die Ansage, eine auf 11 Bände geplante Autobiografie zu veröffentlichen. Weiters machte mich hellhörig, dass er sich in seiner Dissertation mit Thomas Bernhard auseinandersetzte. 

Nächste Station: Perlentaucher. Die Rezensionen dort waren zum überwiegenden Teil äußerst positiv. Vor allem, was die Autobiografie betraf, aber auch schon frühere Werke. Und schnell noch die ausführliche Rezension von "Die Familie" (bereits Band 7) bei der FAZ gelesen

Jetzt war ich schon ziemlich angespitzt, aber immer noch skeptisch. Also mal sehen, was die Wiener Städtische Bücherei so von ihm hat, und gleich einmal die ersten beiden Bände dieser Biografie als ebook runtergeladen.

Was soll ich sagen: Ich wurde nicht enttäuscht! Durch reinen Zufall hab ich einen neuen Autor für mich entdeckt!


In diesem ersten Band der Autobiografie stehen Onkel J. und sein Zimmer im Mittelpunkt des Geschehens. Onkel J. ist der Bruder der Mutter des Autors und wegen seiner Zangengeburt geistig behindert; da ist leider etwas schief gegangen. Die Familie sorgt für ihn, gibt ihn in eine Behindertenschule außerhalb von Bad Nauheim und Friedberg, sodass er den Hänseleien der anderen Kinder nicht so ausgesetzt ist. Später darf er im väterlichen Steinmetzbetrieb mitarbeiten. Aber gerade der Vater ist der Einzige, der seinen Sohn J. nicht so recht akzeptiert. So lässt er ihn etwa die 3km vom Betrieb in Friedberg zum Wohnhaus in Bad Nauheim zu Fuß gehen, während er selbst die gleiche Strecke mit dem Auto fährt.

Nach dem Tod seines Vaters übernimmt seine Schwester (die Mutter des Autors) den Betrieb. Sie und ihr Mann besorgen ihm eine Stelle im Postamt am Frankfurter Hauptbahnhof und sie besorgen ihm vor allem einen gebrauchten VW Variant in "nazibrauner" Farbe. Auf dieses Auto ist er besonders stolz und es ist jedesmal eine große Zeremonie, wenn er es aus der Garage holt. Was er nicht mitbekommt ist, dass er diesen VW Variant vor allem deshalb bekommen hat, um für die Familie diverse Botendienste auszuführen.

Sein Zimmer hat der Autor (er war damals noch nicht einmal in der Schule) niemals betreten; zu sehr hat er sich vor seinem Onkel gefürchtet, zu sehr hat es ihm in diesem Zimmer gestunken, denn auf Hygiene dürfte Onkel J. keinen großen Wert gelegt haben.

Jetzt, nach dem Tod der Eltern und Großeltern, hat der Autor das Haus übernommen und er sitzt ausgerechnet in diesem Zimmer und schreibt diesen Roman darüber. Ironie des Schicksals.

Andreas Maier beobachtet sehr genau und beschreibt die Szenen auch sehr genau. Der Vergleich mit Thomas Bernhard drängt sich immer wieder auf; allerding ist er nicht so verbissen und gallig wir T.B., sondern in seinen Beschreibungen liegt sehr viel Humor. Das Buch war sehr leicht zu lesen und es machte richtig Spaß, die Schrullen der Familie miterleben zu dürfen!

Inzwischen hab ich auch schon Band zwei gelesen (Bericht folgt demnächst). Dabei verfestigte sich meine positive Einstellung zu Andreas Maier, sodass ich auf alle Fälle an dieser Autobiografie dran bleiben werde.

Was mich wundert, und worüber ich mich auch ein wenig ärgere, ist, dass ich von Andreas Maier bisher so überhaupt nix mitbekommen habe! Ein Autor, der schon so viel veröffentlicht hat, hätte mir doch schon früher einmal auffallen müssen! Aber besser spät, als nie!


*******


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen