Freitag, 5. Juni 2020

Keith Lowe: Furcht und Befreiung ★★★★☆

Keith Lowe: Furcht und Befreiung ★★★★☆


Cover: Klett-Kotta


Den Titel halte ich für ein wenig nichtssagend, allein deshalb wäre ich auf das Buch nicht aufmerksam geworden. Aber da sind ja auch noch der Autor und der Untertitel. 

Vom Autor hatte ich vor ein paar Jahren das Buch "Der wilde Kontinent" gelesen und war davon tief beeindruckt. Keith Lowe schildert darin die unglaublichen Wanderbewegungen in Europa der 1940er-Jahre sowie den Umgang der Gesellschaften mit ihren Tätern, Mitläufern und Kollaborateuren – und das in wirklich umfassender Weise.

Der Untertitel des Buches weist schon darauf hin, dass er in seinem neuen Werk ebenfalls eine umfassende Sicht der Auswirkungen bieten wird. Und so war es dann auch. Er beschreibt die Auswirkungen, die der Zweite Weltkrieg bis heute auf uns alle hat. Gut, die groben Blöcke sind uns allen bekannt: Die Entwicklung der Supermächte und damit zusammenhängend die Bildung von NATO und Warschauer Pakt, in Europa vor allem die Entstehung der EU. Aber sonst? Eben.


Im Mittelpunkt des Buches stehen vor allem die Zusammenbrüche der großen Kolonialreiche, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Zweiten Weltkrieg (WK) zu sehen sind.

Vor allem die Briten, aber auch Franzosen sowie Portugiesen und Niederländer konnten für den WK in ihren Kolonien noch Millionen Soldaten ausheben, die dann brav für ihre Kolonialherren kämpften. Als sie nach dem Krieg und der Befreiung Europas von den Nazis wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten, wurde ihnen noch einmal so richtig schmerzhaft bewusst, dass sie selbst fremde Herren im Haus hatten. In zahlreichen Weltgegenden begannen Befreiungskriege.

Europa, die Sowjetunion, die USA, die afrikanischen Kolonien der Briten, Franzosen und Portugiesen werden hier natürlich behandelt. Sehr ausführliche Kapitel widmet Keith Lowe Indonesien, Indien, Kenia, China, Vietnam und Kambodscha und vor allem Korea. Korea musste sich (so wie China) zunächst von der ultrabrutalen Besatzungsmacht Japan befreien (diese Brutalität Japans zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Kapitel Ostasiens) und wurde dann zwischen den Blöcken China und USA zerrissen. Aber was mir überhaupt nicht bewusst war, ist, dass vor allem Koreaner gegen Koreaner kämpften. 

Wie gesagt: All das kann man als ziemlich unmittelbare Nachwirkung des WK betrachten. Die Zeit ist aber nicht stehen geblieben und so gibt es weitere Auswirkungen, die erst mittelbar in unsere Zeit heraufreichen, etwa der Zusammenbruch des Sowjetreiches.

Ich kann hier bei weitem nicht alles anführen, was in diesem Buch alles betrachtet wird. Aber ich hoffe, ich konnte einen kleinen Eindruck vermitteln, wie umfassend der Autor die Dinge betrachtet.

Herausgekommen ist also eine sehr schöne globale Zusammenschau der Ereignisse nach dem WK bis heute. Das Buch hilft, die eurozentrische Sicht etwas zu erweitern, was bei den derzeit stattfindenden globalen Machtverschiebungen kein Fehler sein kann!

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