Montag, 15. Juni 2015

Rumänien 2015 - Teil 3

Wir verlassen die Moldau und kehren wieder nach Siebenbürgen zurück. Nach kurzen Aufenthalten kommen wir in Schäßburg (Sighișoara) an - einem absoluten Highlight dieser Reise! Ausflüge von hier aus führen uns nach Bierthälm (Biertan) und Reichesdorf (Richiș), zwei weiteren Kirchenfestungen.

Auf dem Weg nach Hermannstadt kommen wir noch in Alba Iulia und Kelling vorbei.



Donnerstag, 28. Mai

Bram Stoker hat was angerichtet mit seinem Dracula-Roman! Wie schon berichtet war Vlad III. Drăculea Țepeș ein Fürst der Walachei und nicht Siebenbürgens. Was aber Bram Stoker nicht daran gehindert hat, seinen Roman genau hierher zu verlegen. Nicolae Ceaușescu versuchte mit aller Gewalt, diesen Mythos touristisch zu nutzen und daher kommt es, dass es hier ein Dracula-Hotel gibt...
Denkmal für Bram Stoker...

... gleich neben dem Dracula-Hotel

Tulpen Ende Mai

Im Umkreis gibt es Schipisten



Einen weiteren kurzen Stopp legten wir in Neumarkt am Miersch (Târgu Mureș) ein. Wir gingen zu Fuß vom Theaterplatz bis zum Kulturpalast; dazwischen lag ein Park. Dieser Park war aber nicht immer einer, sondern hier war früher ein freier Platz. Ceaușescu ließ diesen Platz mit Bäumen bepflanzen, um auf dem freien Platz große Menschenansammlungen zu verhindern, die dann vielleicht eine gewisse aufmüpfige Eigendynamik entwickeln würden. Diese Strategie hat er übrigens in allen größeren Städten mit größeren Plätzen angewendet.

Theaterplatz

Kulturpalast. Die Römische Wölfin ist ein Überbleibsel aus Ceaușescu-Zeit: er wollte mit aller Gewalt eine Geschichte von den Römern und Dakern bis zum modernen Rumänien konstruieren.

Hin und wieder ein Pferdefuhrwerk

Eindrücke während der Fahrt

Alles grün. Schafe.

Dreisprachige Ortstafel

Eine rumänische Besonderheit: Die Weihachtbeleuchtung...

... bleibt das ganze Jahr über hängen!

Am Abend kamen wir dann in Schäßburg (Sighișoara) an. Der erste Eindruck der Stadt und des Hotels machte uns sofort klar: das wird einer der Höhepunkte der Reise! Nach einem Abendessen im Hotel machten wir zu viert noch eine kleine Runde durch die Altstadt, die aber recht ausgestorben wirkte. So richtig Bewegung kam dann erst am nächsten Tag in den Ort.

Blick auf die Oberstadt von Schäßburg


Freitag, 29. Mai

Die Altstadt von Schäßburg (Sighișoara) liegt auf einem Hügel, die jüngere Stadt am Fuße dieses Hügels; die Straßen sind daher manchmal steil und manchmal braucht es sogar Stufen, um von einem Niveau zum anderen zu gelangen.

Oberhalb der Oberstadt gibt es noch den Schulberg, auf den man einen etwas gewundenen Weg hinauf nehmen kann, oder - wenn man es eilig hat - einen schnurgeraden Treppenaufgang, der überdacht und windgeschützt ist. Weil die Schule oben liegt und die Schüler es meistens eilig haben, heißt dieser Aufgang daher Schulsteig.

Das meiste Allgemeine zu Siebenbürgen und Schäßburg ist bereits gesagt, ich kann mich an dieser Stelle also auf die Fotos beschränken:

Unser Hotel...

war ein historisches Haus - sehr stimmungsvoll.

Sehr nette Idee für einen Windrichtungsanzeiger: ein Hirte spielt einem Vogel auf  seiner Flöte was vor.

Der Stundenturm ist das Wahrzeichen von Schäßburg

Steile Gassen machen einen Höhenausgleich notwendig

Blick von unten auf die Oberstadt

Hermann Oberth war Raketenpionier und arbeitete zuletzt auch an US-Raketenprogrammen mit

Je nach Größe der Zunft waren auch die Türme der Festungsmauer unterschiedlich groß. Hier der Schusterturm.

Der ungarische Dichter Sándor Petőfi ist im (damals ungarischen) Schäßburg gestorben

Der überdachte Schulsteig führt schnurgerade von der Oberstadt auf den Schulberg

Im Inneren der Bergkirche werden Hochzeitstruhen ausgestellt. Diese Truhen enthielten einerseits die Aussteuer, waren andererseits aber Vorratstruhen für Notzeiten.

Der Seilerturm neben der Bergkirche
Der Zinngießerturm mit überdachtem Wehrgang

Steile Gässchen...

... teils sehr gepflegt ...

... teils noch renovierungsbedürftig

Der überdachte Altfrauengang ermöglicht einen regen- und schneegeschützten Aufstieg von der Unter- zur Oberstadt, die man durch das Tor des Stundenturms betritt.

Aufgang zum Aussichtsbalkon auf dem Stundenturm

Blick vom Stundenturm zum Schulberg

Ein letzter Blick auf Schäßburg.



Am Nachmittag setzten wir uns wieder in den Bus und fuhren nach Bierthälm (Biertan), einer weiteren Kirchenfestung, die mit einer Gruppe solcher Kirchenburgen ein UNESCO-Weltkulturerbe bildet. Andrea, eine junge Sächsin, erklärt uns den Kirchenbau und seine Besonderheiten. Sie ist eine der Wenigen, die noch nicht ausgewandert ist und das auch nicht vorhat.

Bierthälm

Bierthälm

Der Glocken- und der Mausoleumsturm
Die Kirche ist mit einem ganzen Netz von Ankern gesichert, damit sie nicht auseinander fällt.

A.D. 1633

Wieder Kirchenbänke ohne Lehnen

In der Sakristei wurden im Fall der Fälle Kirchenschätze und Wertgegenstände der Bevölkerung gelagert. Die Sicherheitstür hat daher eine mehrfache Verriegelung und ein besonders komplexes Schloss

Die Sakristeitür von außen

Andrea erklärt uns die Besonderheiten der Kirche von Bierthälm


Ein paar Kilometer weiter ins Tal hinein erwartet uns in Reichesdorf (Richiș) Herr Johann Schass, der Kurator der dortigen lutheranischen Kirche. Er ist um die 80 Jahre alt und so etwas wie der "letzte Mohikaner": von ehemals ca. 1200 Sachsen, die in Reichesdorf gelebt haben, sind nur noch seine Frau und er übrig! Alle anderen sind nach der Wende ausgewandert. Zurück geblieben sind jede Menge verlassener Häuser, die nur zum Teil von anderen übernommen und besiedelt wurden; sehr viele stehen leer und verfallen schön langsam. Fotos von einem Spaziergang durch Reichesdorf gibt einen Eindruck davon.

Johann Schass, der Kurator der Kirche
Kirchenschiff

Fenster


Zahlreiche Schlusssteine von Gewölberippen sind mit Gesichtern verziert. Hier mit dem sogenannten "Grünen Mann", einer keltischen Gottheit; hier hat sich der Baumeister und oder der Steinmetz offenbar einen Scherz erlaubt und heidnische "Ostereier" hinterlassen!

Gesicht einer Frau

Hier wieder der "Grüne Mann"

Früher glaubte man, der Pelikan füttert seine Jungen mit Blut, weil das Gefieder teilweise rot gefärbt ist. Bei Nahrungsmangel reißt sich der Pelikan nach diesem Glauben die Brust auf, um seine Jungen mit dem eigenen Blut zu füttern. Der Pelikan gilt daher als Symbol der Aufopferung. [Quelle]

In Reichesdorf hatten wir wieder Gelegenheit, durch das Dorf zu marschieren; hier einige Eindrücke davon:

Pferdefuhrwerk

Einfache und eingängige Regeln für die Renovierung von Häusern, um Bausünden zu vermeiden. Links "ja, so ist es ok", rechts "nein, so bitte nicht"!

Rechts im Bild ein typisches sächsisches Bauernhaus: Giebel straßenseitig, ein oder zwei Öffnungen darin, Krüppelwalm. Das Haus geht dann längs nach hinten.

Weiteres Beispiel

Dieses Haus wartet noch auf seine Renovierung. Typischer Leerbestand.



Samstag, 30. Mai

Wir machen einen Bogen nach Westen, bevor wir nach Hermannstadt fahren. Ziel ist Alba Iulia (Karlsburg, Weißenburg), das nach dem ersten Weltkrieg kurz die Hauptstadt des neuen Rumäniens war.
Ungarn musste (unter anderem) große Gebiete im Osten abtreten, so gelangte Siebenbürgen wieder an Rumänien, das bis dahin nur aus den beiden großen Fürstentümern Walachei und Moldau bestanden hatte. Nach mehreren Jahrhunderten waren die drei Großregionen wieder vereint.
Gleichzeitig mit der Wiedervereinigung wurde auch die Monarchie wieder eingeführt und die große Vereinigungs- und Krönungsfeier fand eben hier in Alba Iulia statt, einem Platz, dessen Prunk und Pomp für so eine Veranstaltung gerade recht sind; denn hier wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt!

Gemeinde Alba Iulia
Eingang zum Festungsbereich


Orthodoxe Krönungskirche

Rund um die Krönungskirche

Hier wird wieder einmal die römische Geschichte beschworen. Kaiser Septimius Severus in typischer Selfie-Haltung.

Die "Spinnerin am Kreuz" gibt es also nicht nur in Wien

Die "via principalis" führt hinunter zum Karlstor

Karlstor, benannt nach Karl VI., dem Vater Maria Theresias
Dieser kleine Trommler war vielleicht vier oder fünf Jahre alt, aber der hatte es echt drauf! Er hatte auch sofort ein großes Publikum!
Reiterstandbild von Mihai Viteazul; ihm gelang es als erstem, die drei Fürstentümer Walachei, Moldau und Siebenbürgen unter einem Dach zu vereinen - wenn auch nur für kurze Zeit.

Zu Pfingsten gab es eine Hochzeit nach der anderen

Hochzeitskutsche


Kurz vor Hermannstadt machen wir noch einen Abstecher nach Kelling (Câlnic), dessen Kirchenburg ebenfalls zum Weltkulturerbe zählt. Diesmal gibt es keine Andrea und keinen Johann Schass, sondern Radu selbst bringt uns diesen Bau näher. Nach einer kurzen Einführung bleibt noch Zeit für einen Besuch des Heimatmuseums und vor allem für Fotos:

Eingang zur Anlage

Kirchenburg Kelling

Festungsmauer, Brunnen, Kakteen

Wehrturm...

...mit Wehrgang

Das Innere der Kirche

In einem der Türme ist ein kleines Heimatmuseum untergebracht. Hier einige Trachtenjacken mit Innenfell.

Auf der Weiterfahrt sind wir auch durch ein Romadorf gekommen. Die reicheren Roma bauen dort auffällige Mehrfamilienhäuser, die alle irgendwie als Baustelle steckenbleiben. Die weniger reichen leben in Hütten, die wir kaum als Häuser bezeichnen würden. In diesem Dorf bieten sie auf der Straße selbst hergestellte Kupferwaren zum Verkauf an. Unser Bus hat nicht einmal angehalten, sondern ist nur langsam durchgerollt, aussteigen war nicht möglich. Radu hat sich nicht näher darüber ausgelassen, aber wegen "eigenen Erfahrungen der letzten Zeit" wollte er, dass wir alle im Bus bleiben...

Roma-Familie in typischer Kleidung

Mehrfamilienhaus mit typischem Pagoden-Erker und typischer Dachform und -deckung

Dieser Rom bietet Kupferwaren an: Kannen, Pfannen und Brennereien


In Hermannstadt angekommen, beziehen wir zunächst unser Quartier, das sehr zentral gleich am Rande der Fußgängerzone liegt. Für das Abendessen fahren wir aber mit dem Bus nach Michelsberg - Herrmannstadt muss also noch warten.

Auf dem Weg zu Familie Henning machen wir aber noch eine kleine Besichtigung der Kirchenburg in Michelsberg (Cisnădioara), die ganz oben auf einem Hügel im Ort liegt. Ein ziemlich steiler Fußweg durch den Wald führt uns in wenigen Minuten nach oben. Der Wald macht den Aufstieg in der Hitze erträglicher; er war aber nicht immer da - siehe Fotos.

Eingang zur Festung

Blick von oben auf die Ortschaft Heltau (Cisnădie)

Die Kirche von außen

Trichterportal mit schöner Tür

Innen gibt es eine Gedenkstätte für Gefallene beider Weltkriege
Rund um die Kirche, aber innerhalb der Festung, findet man diese Steinkugeln. Jedes Hochzeitspaar musste so eine Kugel den Hügel hinauf rollen! Dort wurden sie gesammelt und im Verteidigungsfall den Hügel auf die Angreifer hinunter gerollt. Daher war der Hügel früher eben nicht bewaldet.

Die Toilette ist noch erhalten ...

... allerdings gibt es keine Wasserspülung.


Vom Hügel wieder abgestiegen, waren es nur noch ein paar Meter bis zum Bauernhof der Familie Henning, die uns diesen Abend ausgezeichnet bewirtete.
Danach stand Michael Henning für eine Frage- und Antwortstunde zur Verfügung, wobei er uns ein lebendiges Bild der Zustände vor und nach der Wende vermitteln konnte.

Michael Henning


Immer wieder begegnete uns das Bild von "den Sachsen, die auf gepackten Koffern saßen" und nach der Wende schlagartig das Land verließen. Innerhalb weniger Monate waren etwa 90% der Sachsen hauptsächlich Richtung Deutschland für immer aus ihrer Heimat abgereist. Sie wurden dort nicht als Flüchtlinge, sondern als Aussiedler willkommen geheißen; sie hatten daher sofort Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsberechtigung und bekamen auch die eine oder andere Starthilfe in ein neues Leben. Viele von ihnen kommen heutzutage im Sommer in die alte Heimat auf Urlaub und werden daher "Sommersachsen" genannt. Was es aber für das soziale Gefüge bedeutet, wenn 90% der Verwandtschaft und Nachbarn quasi über Nacht nicht mehr da sind, kann sich ein Außenstehender in letzter Konsequenz wahrscheinlich gar nicht vorstellen!
Schon vor der Wende hat Deutschland immer wieder Sachsen aus Rumänien gegen harte Devisen freigekauft; sie waren laut Herrn Henning also "der Exportschlager Rumäniens".
Die Familie Henning ist aber geblieben. Nach dem Massenexodus der Sachsen und nach der Wende ergibt sich wieder eine Art von Pioniersituation, die auf die Verbliebenen wartet. Er selbst hat zwar von den Ausreisenden Land zugekauft, hatte aber nicht die Mittel, um noch mehr zu übernehmen. Viele andere Höfe konnten an neue Siedler (Rumänen, Ungarn, Roma,...) übergeben werden, aber bei weitem nicht alle; es gibt daher in jedem Dorf viele Häuser, die leer stehen und schön langsam verfallen.
Ein Diskussionspunkt war noch die Sprache. Herr Henning und alle anderen Sachsen, die wir getroffen hatten, sprachen modernes Deutsch unserer Tage. Es wird aber unterschieden zwischen "deutsch", das mit uns gesprochen wurde, und "sächsisch", das die Sachsen untereinander verwenden. Eine kleine Kostprobe von Herrn Henning machte schnell klar, dass das zwei verschiedene Dinge sind - wir haben praktisch nichts verstanden; etwa gerade soviel, wie wir auch aus einem jiddischen Gespräch verstehen würden. Das Deutsch der Sachsen wurde hauptsächlich von den Studenten aktuell gehalten: da es in Siebenbürgen keine Univeritäten gab und Studenten daher gezwungen waren, ins deutschsprachige Ausland zu gehen, brachten sie bei der Rückkehr eben das aktuelle Deutsch der jeweiligen Zeit mit. Dass heutzutage auch das Satellitenfernsehen seinen (zweifelhaften) Beitrag liefert, steht auf einem anderen Blatt.
Aus der einen Stunde wurden zwei, aber irgendwann war dann Schluss. Leider. Wir hätten wahrscheinlich noch stundenlang zuhören können.



Hier geht's zu Teil 4 des Reiseberichts.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen