Mittwoch, 29. September 2021

Umberto Eco: Baudolino ★★★★☆

Umberto Eco: Baudolino  ★★★★☆



Cover: dtv

Eigentlich wollte ich dieses Buch gar nicht lesen; schon noch einmal, irgendwann, aber nicht jetzt. Aber es ist mir passiert: Ein paar Seiten gelesen, schon war ich von diesem Stoff eingesaugt, ich konnte das Buch jetzt nicht mehr weglegen. Es ist einfach zu witzig!

Eingebettet in eine große Rahmenhandlung lässt Umberto Eco den Baudolino dessen Lebensgeschichte dem byzantischen Hofbeamten Kyrios Niketas erzählen.

Er beginnt damit, dass er als 15-Jähriger einem unbekannten Ritter begegnet, der im Nebel nicht mehr in sein Lager zurückfindet. Baudolino hilft ihm dabei und erzählt so nebenbei, dass er im Irrlicht des Nebels gerade eine Heiligenerscheinung hatte. Der Ritter ist begeistert und bittet Baudolino, die gleiche Geschichte auch im Lager zu erzählen, das würde seine Soldaten unheimlich  motivieren. Gesagt, getan. Damit beginnt eine unglaubliche Karriere als Geschichtenerzähler und Lügenbaron.

Denn der unbekannte Ritter ist niemand Geringerer als der spätere Kaiser Barbarossa.

Der erkennt sofort das große Talent von Baudolino; er adoptiert ihn, nimmt ihn nach Deutschland mit und übergibt ihn seinem Kanzler zur Ausbildung. Seine weiteren Wege führen ihn nach Paris, Oberitalien, nach Byzanz und noch viel weiter in den Osten. Von dort kehrt er 1204 gerade in den Tagen nach Byzanz zurück , als die Kreuzfahrer unter Venedigs Führung die Stadt plündern. Dabei begegnet er eben Kyrios Niketas und bewahrt ihn und dessen Familie vor weiterem Raub und Plünderung.

Damit schließt sich der Kreis, Baudolino erzählt aus den letzten 45 Jahren seines Lebens.

Die Geschichte ist natürlich wesentlich komplexer als ich sie hier wiedergebe. In der Wikipedia gibt es eine ausführliche Inhaltsangabe.

Das Buch lebt vom Witz Baudolinos, der sehr viele Eigenschaften mit dem Autor gemeinsam hat, etwa die Geburtstadt (Alessandria); oder auch die Liebe zum Erfinden und Flunkern.

Und geflunkert wird ständig in diesem Roman. Da werden etwa drei Mumien von Mailand nach Köln verbracht, dort frisch eingekleidet (passenderweise in den Farben des späteren Italiens), in einen Sarkophag gesteckt und fürderhin als Reliquien der Heiligen Drei Könige präsentiert. Selbstverständlich mit Echtheitszertifikat, wie sich das eben gehört, das Baudolino höchstpersönlich anfertigt – wozu hat man ihn schließlich in Paris studieren lassen! 

Dieses Kapitel ist eines der besten und witzigsten im ganzen Buch. In ihm ist auch das Zitat in Bezug auf Reliquien enhalten, das ich schon hin und wieder verwendet habe:

Es ist der Glaube, der sie echt macht!


Einen großen Teil des Romans nimmt Baudolinos Reise in das Reich des Priesterkönigs Johannes ein, das weit weit im Osten liegen soll. Dieser Priesterkönig Johannes soll im Besitz des Heiligen Grals sein, den Johannes dem großen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches als Geschenk anbietet. So schreibt jedenfalls Johannes in einem Brief an den Kaiser – verfasst selbstverständlich von Baudolino persönlich. Auf den echten Johannes braucht man nicht zu warten, das kann schließlich ewig dauern!

Dieser Abschnitt ist wirklich groß – einfach zu groß. Zunächst ist ja alles noch in Ordnung, wenn er etwa den Tod Barbarossas im Roman verarbeitet. Aber danach ergeht sich Umberto Eco auf dutzenden Seiten in Abhandlungen über diverseste Häresien, die einfach ermüdend sind; so genau wollte ich es nun auch wieder nicht wissen. Mir kommt vor, der Verlag hat den Autor dazu genötigt, den Roman noch um 150 Seiten aufzublasen, damit es ein echter Eco wird. Diese Seiten kann man getrost überblättern, sie leisten keinerlei Beitrag zum Fortschritt des Geschehens. Aber sie führen dazu, dass ich leider einen Stern abziehen muss. 

Ausnahme ist nur die Stelle, in der Baudolino seine Hypathia kennenlernt. Nach der Rückkehr von seiner großen Reise wird er am Schluss des Buches zu ihr zurückgehen.

Alles in allem aber ein sehr witziges und gut konstruiertes Werk, das immer wieder zum Lesen einlädt. Es wird bei mir sicher nicht das letzte Mal sein!


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