Mittwoch, 8. November 2023

Vor 100 Jahren: Hitler-Putsch in München

Vor 100 Jahren versuchten Hitler und seine Umgebung, die Weimarer Republik zu sprengen. Er ist damit gescheitert, erst 10 Jahre später sollte ihm die "Machtergreifung" gelingen.

Und genau 15 Jahre und einen Tag nach dem Putsch gab es dann in Deutschland und Österreich die Novemberpogrome, damals (und weit bis in unsere Zeit) noch zynisch "Reichskristallnacht" genannt.

Aber zurück zum Putsch, der heute, so scheint mir, nur noch wenig beachtet wird. 

So ein rundes Jubiläum lädt immer zu Vergleichen ein. Etwa in der ARD heute Früh mit dem Titel "Der Vergleich taugt als Warnhinweis". Beim ersten Hinsehen vielleicht, ansonsten halte ich einen Vergleich 1923 mit heute für arg überzogen.

Odeonsplatz München, 9. November 1923
Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 119-1426 / CC-BY-SA 3.0


Die Stimmung zumindest in den ersten Jahren der Weimarer Republik war hochexplosiv:

  • Der Erste Weltkrieg war erst vor 5 Jahren zu Ende gegangen. Deutschland war am Boden.
    Übrigens nicht nur Deutschland, sondern weite Teile Europas – immerhin sind drei große Reiche untergegangen: Das Deutsche und Österreichische Kaiserreich sowie das Osmanische Reich.
  • Deutschland hatte keine demokratische Erfahrung, viele lebten geistig noch in der Monarchie. Man konnte sich nicht vorstellen, dass eine Republik Bestand haben sollte.
  • Das galt sowohl für das Wahlvolk als auch für die Abgeordneten, das Militär und den alten Adel. Bereits 1920 musste der Kapp-Putsch niedergerungen werden.
  • Der Wunsch nach einem Monarchen oder einem Diktator, der es richten sollte, war daher weit verbreitet
  • Deutschland litt nach dem Vertrag von Versailles unter gigantischen Reparationsforderungen, die kaum zu erfüllen waren.
  • Frankreich bestand aber darauf. Als die Zahlungen nicht einzutreiben waren, besetzte es (gemeinsam mit Belgien) das Ruhrgebiet, um dort Kohle und Stahl direkt an der Quelle abzuholen.
  • Das funktionierte aber in der ersten Zeit so gar nicht. Sowohl die Arbeiter in den Gruben und Werken als auch die Beamten in der Verwaltung stellten (im Einverständnis mit der Reichsregierung) die Arbeit ein.
  • Sie wurden daher auch nicht bezahlt. Mehr noch: Die neuen Machthaber deportierten sie teilweise sogar aus dem Ruhrgebiet raus.
  • Aber irgendwie musste das alles dann ja doch bezahlt werden: Reparationen, die Arbeiter und Beamten. Also griff die Regierung zur Notenpresse – und zwar großzügig.
  • Die Folge: Hyperinflation. Das Geld wurde weniger und weniger wert.
    Beispiel: Mitte September 1923 musste man für einen US-Dollar 10 Mio Reichsmark hinlegen, einen Monat später waren es bereits 160 Mio! Da fehlt uns Heutigen jegliches Vorstellungsvermögen dafür – also mir zumindest.
  • Es gab zahlreiche paramilitärische Einheiten, viele davon waren Parteien zuordenbar.
  • Eine Regierungskrise jagte die nächste, es gab mehrere Wechsel (Wirth, Cuno, Stresemann)
  • Separations-Bemühungen in Sachsen, Rheinland, der Pfalz und Bayern. Teilweise scheiterten diese Los-vom-Reich-Bewegungen an sich selbst, in Sachsen schritt aber sogar das Reichsheer ein! Stresemann musste zum Ausnahmezustand greifen. Deutschland befand sich also ständig am Rande des Bürgerkrieges.

In dieser Grundstimmung lag ein Putsch direkt in der Luft. Hitler zögerte aber; noch am 1. November meinte er sinngemäß, für wie blöd man ihn eigentlich halte, er mache keinen Putsch. 

Eine Woche später enterte er die Bühne im Bürgerbräu, stellte sich auf einen Sessel und schoss gleich einmal mit einer Pistole in die Decke. Die Aufmerksamkeit hatte er also. Die bayrischen Machtträger sperrte er in ein Nebenzimmer, setzte ihnen die Pistole an und zwang sie so, den Putsch zu unterstützen. Die Bedrohten (das Triumvirat Kahr, Lussow und Seißer) gingen aber nur zum Schein darauf ein, wenige Stunden später gingen sie zum Gegenangriff über und widerriefen einfach ihre Absetzung. Die bayrische Landesregierung konnte sich zuvor noch nach Regensburg retten. Hitler, Göring und Ludendorff hatten dem nichts entgegenzusetzen, sie hatten keine weiteren Vorkehrungen getroffen.

Ludendorff hatte dann die Idee, zum Odeonsplatz zu ziehen und so noch einmal ein kräftiges Zeichen zu setzen. Dort wurden sie allerdings von der Polizei bereits erwartet. Nach dem nun folgenden Schusswechsel blieben vier Polizisten, ein unbeteiligter Passant und 15 Putschisten tot zurück. Hitler wurde verletzt abtransportiert (Schulter ausgerenkt) aber kurze Zeit später verhaftet.

Der Putsch war also gescheitert.

Der weitere Ablauf: Im Prozess wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt, aber bereits nach neun Monaten wieder entlassen. In dieser Zeit schrieb er den ersten Teil von "Mein Kampf". Der Putsch wurde jedes Jahr als heroisches Ereignis gefeiert und trug weiter zu seiner Bekanntheit bei. Für weitere Details verweise ich auf Wikipedia und die Unmengen Literatur, die es dazu gibt.

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Obwohl wir von zahlreichen Krisen umgeben sind (Ukraine, Naher Osten, Taiwan, um nur ein paar zu nennen), aber keinen Krieg im eigenen Land haben; obwohl wir gerade in einer Phase höherer Inflation leben (kein Vergleich zu 1923); obwohl uns rechte Parteien zu schaffen machen; obwohl ein Präsidentschaftskandidat meinte (drohte) "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist". Trotz alledem sind wir meiner Meinung nach meilenweit entfernt von den Zuständen 1923.

Wenn man sich das so anschaut, kann ich zwar ein paar Parallelen erkennen – allerdings nur vage. Alles, was an Vergleichen darüber hinaus geht, halte ich für gewagt, um nicht zu sagen für Marktschreierei, um die Auflage zu steigern. Noch einmal: Die Situation 1923 übersteigt unser Vorstellungsvermögen bei weitem!

Was ich dennoch für richtig halte: Darauf hinzuweisen, dass unsere demokratischen Zustände heute nicht selbstverständlich sind, und dass man sich Demokratie täglich erarbeiten muss. Sie ist ständig in Gefahr, zahlreiche Kräfte arbeiten an ihrer Demontage.

In den USA ist man da schon weiter. Am 6. Jänner 2021 wurde ja bekanntlich das Kapitol gestürmt. Alles deutet darauf hin, dass Donald Trump abermals gewählt wird. Dann wird es, fürchte ich, in der Ukraine und im Westen sehr rasch sehr dunkel werden.

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