Samstag, 19. Januar 2019

Ernestine Amy Buller: Finsternis in Deutschland ★★★★☆

Ernestine Amy Buller: Finsternis in Deutschland 


Cover nicht verfügbar

Ernestine Amy Buller interessierte sich schon in jungen Jahren für Deutschland. Daher besuchte sie ab 1921 immer wieder dieses Land, um die Sprache besser zu beherrschen. Später veranstaltete sie Studienreisen nach Deutschland, die in England immer bekannter und beliebter wurden und letztlich auch in der Politik Aufmerksamkeit erregten. Dadurch kam es, dass sie mit diplomatischer Unterstützung selbst in den 1930er-Jahren noch solche Reisen organisieren konnte.

In diesem Buch berichtet sie einerseits von Gesprächen, die sie auf ihren Reisen sowohl mit eingefleischten Befürwortern als auch Gegnern des Nazi-Regimes führen konnte. Andererseits gibt es eigene Kapitel, in denen sie von ihrem Besuch des Parteitags in Nürnberg berichtet, bzw. ihre Eindrücke von Hitler schildert, den sie dort beobachten konnte.



Der erste Teil enthält vor allem die Interviews mit Lehrern, Geistlichen und Militärangehörigen, die die Nazi-Ideologie großteils ablehnen; aber eben nicht alle.

Gerade die Offiziere stehen vor gewaltigen inneren Konflikten: einerseits sind sie Hitler dankbar, dass er der Armee wieder Stimme und Gewicht gegeben hat; denn davor waren sie vor allem die gescholtenen und verachteten Kriegsverlierer. Andererseits sehen sie klar, wohin der Weg gehen wird und lehnen seine Politik ab. Sie sind froh darüber, dass sie mit der SS nichts zu tun haben müssen und dass der verpflichtende Wehrdienst verlängert wurde; sie hoffen nämlich, den jungen Männern während dieser Militärzeit den Unsinn, den sie in der HJ gelernt haben, wieder austreiben zu können. Andererseits sehen sie natürlich, dass ein verlängerter Wehrdienst kein Selbstzweck ist.

Immer wieder kommt zur Sprache, dass die Nazis die jungen Arbeitslosen von der Straße geholt und ihnen wieder Lebenssinn vermittelt haben. Dieses Thema treibt die Autorin besonders um. Damals gab es in Deutschland 23 Parteien, die um die Wähler stritten. Wenn jetzt Hitler einfach als 24. Bewerber aufgetreten wäre, hätte er wahrscheinlich nicht einmal Gehör gefunden. Was machte seine Bewegung also so einzigartig? Sie schließt sich der Meinung von C.G. Jung an, der vor allem die religiöse Komponente dieser Ideologie hervorhob. Die alten Kirchen und Religionen hatten nach dem Weltkrieg ausgedient, sie konnten keine passenden Antworten mehr liefern - falls sie das je versucht hätten. Die Nazis nahmen dieses Vakuum in Beschlag mit großen Aufmärschen, Fackelzügen, Jugendlagern, Uniformen, großem Pomp und Pathos, und mit Massenveranstaltungen, auf denen der Führer dieser neuen Religion auftrat. Höhepunkt war natürlich dann der jährliche Parteitag in Nürnberg, bei dem eine ganze Woche lang all das zelebriert wurde. Die Schilderung dieser Woche in Nürnberg war für mich eines der schillerndsten Kapitel des Buches. Vor allem, weil ich erst vor ein paar Monaten in Nürnberg dieses Gelände besucht und bereits einen Eindruck der Gigantonomie hatte, die dort herrschte.

Die Abkehr von den alten und die Hinwendung zu der neuen Religion ist immer wiederkehrendes Thema bei Gesprächen mit Lehrern und Geistlichen. Vor allem die Kirchenvertreter können sich nur noch in geheimen Treffen besprechen, der Druck auf die Kirchen wird immer schlimmer. Klar, die neuen Religionsherren können die alte Konkurrenz nicht einfach weiter so gewähren lassen. Viele Lehrer stehen vor ähnlichen Konflikten wie die Offiziere. Daher bleiben viele an den Schulen, um das Feld nicht komplett den Nazis zu überlassen - zumindest nicht gleich. Auch sie hoffen, ein Gegengewicht zu HJ, BDM und weiteren Organisationen bilden zu können.

Der zweite Teil des Buches bringt dann keine Interviews mehr, sondern beschäftigt sich mehr mit den religiösen Komponenten, bringt - wie schon vorhin erwähnt - eine Schilderung des Parteitages in Nürnberg und Eindrücke von Hitlers Verhalten bei solchen Veranstaltungen.

1938 findet die letzte Studienreise statt, 1943 veröffentlicht die Autorin dieses Buch. Dass es trotz scharfer Zensur erscheinen konnte, war schon ein kleines Wunder. Denn Deutsche, die die Nazi-Ideologie ablehnen, waren in England der damaligen Zeit kaum vorstellbar. Gerade dieser Umstand macht das Buch aber so interessant und lesenswert. Es ist natürlich keine wissenschaftliche Studie, diesen Anspruch stellt es gar nicht. Aber es gibt in einfachen Schilderungen ein wirklich gutes Stimmungsbild Deutschlands zu dieser Zeit wieder.

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