Freitag, 26. Januar 2018

Ian McEwan: Kindeswohl ★★★★☆

Ian McEwan: Kindeswohl 


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Die Richterin Fiona hat schon mehrmals heikle Situationen beurteilen müssen. Zur Einstimmung schildert uns Ian McEwan einen Fall von Siamesischen Zwillingen, die getrennt werden sollen. In der Hauptsache geht es aber um einen nicht ganz 18-Jährigen (und somit noch Minderjährigen), der der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehört. Die Klinik hat einen Eilantrag gestellt, ihm eine lebensrettende Bluttransfusion verabreichen zu dürfen, die aber von seinen Eltern, den Ältesten der Zeugen Jehovas, aber auch von ihm selbst strikt abgelehnt wird.

Wie immer hat Ian McEwan gründlich recherchiert und er schildert den Fall wie immer auf sprachlich sehr hohem Niveau; allerdings auch wahnsinnig aufwühlend und emotional anstrengend!


Bei den Zwillingen ist einer praktisch nicht lebensfähig, sein großes Herz saugt seinen gesunden Bruder geradezu aus. Wenn sie nicht getrennt werden, sterben beide. Nach der Trennung stirbt der nicht lebensfähige ganz sicher, aber der andere bekommt seine Chance. Fiona entscheidet für die Trennung.

Der junge Zeuge Jehovas hat Leukämie und soll ein Medikament verabreicht bekommen, das als Nebenwirkung sein Immunsystem schwächt, weil zu wenig Blut nachgebildet wird. Eine Zuführung von Fremdblut würde diese Nebenwirkung abschwächen und der Junge kann überleben - ohne diese Transfusion aber nicht. Die Klinik stellt daher einen Antrag, dass sie diese lebensrettende Maßnahme gegen den Willen aller Beteiligten trotzdem durchführen darf.

Die Zeit drängt, am nächsten Tag muss die Transfusion erfolgen. Fiona hört sich die Argumente aller Seiten an und unterbricht danach die Sitzung, um in der Klinik mit dem Patienten selbst sprechen zu können. Es entwickelt sich ein interessanter und spannender Dialog, aber der Junge bleibt dabei: keine Transfusion. Als Leser glaubt man nun, die Sache ist gelaufen. Aber wieder zurück im Gericht, entscheidet Fiona völlig überraschend, dass die Blutspende durchgeführt werden darf - das Kindeswohl geht vor.

Ich hab ein wenig recherchiert, wie die Lage in Österreich dazu ist. Kurz gesagt, ganz ähnlich wie im Buch geschildert. Bei Minderjährigen bekommt das Kindeswohl ebenfalls Vorrang; den Eltern wird das Sorgerecht entzogen und die Transfusion kann stattfinden. Bei Erwachsenen sind den Behandlern die Hände gebunden: wenn der eine Transfusion ablehnt, dann hält sich die Klinik daran. Ich schließe das aus den beiden Artikeln, die ich in Presse und Standard dazu gefunden habe.

Wenn es nur diesen Handlungsstrang gäbe, hätte ich hier glatt fünf Sterne vergeben. Der Abzug hat zwei Gründe. Erstens gibt es da noch die Krise in Fionas Ehe, die zu diesem Stoff nicht so recht dazu passt. Und zweitens ist der Schluss für meine Begriffe zu melodramatisch und schwülstig ausgefallen.

Die Musik, Fionas Hobby, passt da zwar auch nicht so ganz rein, aber die Schilderung der musikalischen Aufführung bei der Weihnachtsfeier der Gerichts ist wieder "erste Sahne".

Insgesamt hat der Roman also einen etwas zwiespältigen Eindruck bei mir hinterlassen. Das Thema an sich und wie der Autor an dieses herangeht, machen das Buch aber allemal lesenswert!

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