Sonntag, 14. Januar 2018

Herta Müller: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet ★★★★☆

Herta Müller: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet 



Cover: S. Fischer Verlage


Das zweite Buch, das ich von Herta Müller gelesen habe, fand ich wesentlich besser und überzeugender als ihr bekanntestes (Atemschaukel). Hier schildert sie den Alltag im Rumänien vor der Wende; und bei allem Leiden und bei aller Tragik kommen trotzdem feiner Witz und Sarkasmus nicht zu kurz.

Die Erzählerin wird so zwischen 30 und 40 Jahre alt sein. Sie fährt mit der Straßenbahn zum wiederholten Male zum Verhör durch einen Securitate-Offizier. Eingebrockt hat ihr das ihr netter Arbeitskollege aus der Kleiderfabrik; der hat sie nämlich verraten, als sie in die Hosentaschen der Jeans, die nach Italien gingen, Zettel mit der Aufschrift "Rette mich, heirate mich" gesteckt hatte. So wie viele andere auch, wollte sie einfach nur noch raus aus diesem großen Gefängnis.

So wie auch Lilli, ihre Kollegin und Freundin aus der gleichen Fabrik. Sie und ihr Lebensgefährte hatten schon alles für die Flucht vorbereitet, und sie waren auch schon tatsächlich an der Ungarischen Grenze, als plötzlich Schüsse fielen. Über die bereits tote Lilli fielen dann auch noch Hunde her...

Die Geschichte mit Lilli ist nur eine von vielen; in etlichen Rückblenden während der Fahrt mit der Straßenbahn wird das gesamte bisherige Leben erzählt, und in diesen Erzählungen ist eben viel Lokalkolorit enthalten. 

So darf etwa Alkohol am Vormittag nicht ausgeschenkt werden; dieses Verbot lässt sich aber ganz leicht umgehen, indem eben der Schnaps nicht in Gläsern, sondern in Kaffeetassen serviert wird - quasi als Frühstück. Alkohol ist übrigens ständiger Begleiter in diesem Buch. 

Oder die Episode auf dem Flohmarkt, als unsere Erzählerin ihren zweiten Ehemann kennenlernt. Wie es in der Warteschlange zu den Toiletten zugeht, ist schon wirklich gut geschildert!

Oder die traurige Geschichte von der Frau des Hausmeisters. Sie zieht jeden Mittwoch ihr schönstes Kleid an, damit sie richtig angezogen ist, wenn der Herr von der Lottogesellschaft kommt und ihr zu ihrem Hauptgewinn gratuliert. Er war zwar bis jetzt noch nicht da und die Frau wird deswegen schon ziemlich verrückt, aber einmal muss er ja kommen. Ihr Mann, der Hausmeister, wird von der Securitate übrigens gezwungen, die Kommen- und Gehenzeiten der Erzählerin und ihres Mannes zu notieren. Fairerweise erzählt er ihr das aber eines Tages, worauf sie ihm die Hefte zum Aufschreiben kauft, damit er ihretwegen keine Kosten hat.

Und so weiter. Die Straßenbahnfahrt und die Passagiere sind ja an sich schon eine Milieustudie und werden im Buch ausführlich behandelt.

Ausgerechnet an diesem Tag hat die Erzählerin auch schon ihre Zahnbürste eingepackt, weil sie spürte, dass sie diesmal einbehalten würde. Aber ausgerechnet an diesem Tag bleibt die Straßenbahn nicht an der Haltestelle für ihr Verhör stehen, sondern erst eine später. Sie nimmt das als ein Zeichen und geht nach Hause.

In dieses Buch ist sicherlich viel selbst Erlebtes eingeflossen, die Autorin wurde ja auch jahrelang von der Securitate gequält. Insgesamt hat man als Leser das Gefühl: so muss es damals in Rumänien zugegangen sein.


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