Montag, 13. März 2017

Egyd Gstättner: Das Geisterschiff. Ein Künstlerroman ★★★★☆

Egyd Gstättner: Das Geisterschiff. Ein Künstlerroman 


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Josef Maria Auchentaller. Kann sich noch jemand an ihn erinnern? Nein? Ich kenne ihn auch erst seit ein paar Tagen. Dabei war er zu seiner Zeit sehr bekannt und in seinem Metier eine wirkliche Größe!

Er war Mitbegründer der Wiener Secession, hat zum Gebäude den Fries "Freude schöner Götterfunke" beigesteuert, engagierte sich stark bei der Secessions-Zeitschrift "Ver Sacrum". Er kannte aus dieser Zeit Gustav Klimt, Otto Wagner, Joseph Maria Olbrich, Carl Moll und dessen Stieftochter Alma Schindler (Mahler-Werfel), Adolf Loos und viele weitere; außerdem noch Arthur Conan Doyle und H.G.Wells, nebst Egon Friedell, Alfred Polgar, und...

Alle diese Namen sind heute noch geläufig. Nur der Name Auchentaller nicht. Das hat mit seinem Lebenslauf zu tun, den Egyd Gstättner in diesem Roman liebevoll nachzeichnet.

Solange Auchentaller sich in Wien herumtrieb, war er ja mitten im Geschehen und war durchaus sehr bekannt. Als seine Frau Emma etwas zu kränkeln begann, machten sie sich auf den Weg zum Meer und entdeckten das damals noch völlig unbekannte Dörfchen Grado für sich. Emma beschloss, aus dem verschlafenen Grado etwas zu machen. Der finanzielle Rückhalt war da (Familie Scheid produzierte Schatullen, Etuis und anderen Schmuck aus Metall), sodass innerhalb kurzer Zeit das Hotel "Fortino" (gebaut von Julius Mayreder) bereit stand, Gäste zu empfangen. 1906 war die Eröffnung.

Nur wusste zu diesem Zeitpunkt praktisch niemand, dass es Grado und das Hotel überhaupt gab. Also entwarf ihr Mann das Sujet "Seebad:Grado. Österreichisches:Küstenland", das als Plakat und Postkarte überall in Wien zu sehen war. Das Plakat ist derart bekannt, dass es einem noch heute überall in Grado unterkommt! Das Plakat und viele weitere Arbeiten zeigt diese Übersicht.

Emma führte das Hotel und ging voll in dieser Aufgabe auf, Josef Maria war künstlerisch sehr produktiv, aber eben nicht mehr in Wien, sondern in Grado. Das mündete über die Jahre hinweg in einer gewissen Entfremdung: was in Wien so vor sich ging, erfuhr er nur aus der Zeitung bzw. von seinen Künstler-Kollegen, die als Gäste in ihrem Hotel abstiegen. Und umgekehrt erfuhr in Wien kaum noch jemand, was Auchentaller in Grado so trieb.

Ein schwerer Schicksalsschlag war der Freitod seiner geliebten Tochter Maria Josefa, von dem er sich zeitlebens nicht mehr erholte. Sie war erst 18.
Der Tod seiner Frau Emma gab ihm den Rest: die letzten vier Jahre seines Lebens hat er sich im Hotel verschanzt und hat kaum noch gesprochen. Er war der Letzte in diesem Geisterschiff "Fortino". Er starb in der Silvesternacht 1949/50 im Hotel, das seit einigen Jahren bereits geschlossen war, im Alter von 84 Jahren.

Dazwischen gibt es aber noch zahlreiche andere Episoden, die Egyd Gstättner hauptsächlich aus dem umfangreichen Tagebuch entnommen hat. So waren etwa die beiden Weltkriege tiefgreifende Einschnitte; der erste wahrscheinlich noch mehr als der zweite: denn 1918 war Grado plötzlich nicht mehr österreichisch, sondern italienisch. 

Im Epilog deutet Egyd Gstättner an, dass der Name Auchentaller selbst in Grado praktisch niemandem mehr etwas sagt. Das "Fortino" gibt es zwar noch, es ist heute aber kein Hotel mehr, sondern ein Wohnhaus. Und sonst gibt es nichts mehr, das an die Familie Auchentaller erinnern würde.

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