Sonntag, 31. Dezember 2023

"Hildensaga" im Akademietheater

Der Stoff der Nibelungen wurde schon oft erzählt. Drei dieser Geschichten hat der Autor Ferdinand Schmalz für seine Version herangezogen und daraus eine vierte, weitere Geschichte gemacht. 

Und zwar durchaus originell. Bei ihm stehen die beiden wichtigen, zentralen Frauen Brünhild und Kriemhild mehr im Vordergrund als bei den anderen. Von ihnen leitet sich auch der Titel für sein Stück ab: Die beiden Hilden geben ihm den Namen. Aus der Heldensaga wurde also eine Hildensaga.

Gestern hab ich mir das angesehen. Ich war dazu aber nicht in Worms – denn für die dortigen Nibelungenspiele hat er das Stück geschrieben – sondern "bloß" im Akademietheater Wien.

Kriemhild und Brünhild
Foto: Akademietheater / Marcella Ruiz Cruz


Ferdinand Schmalz lässt sein Stück mit der berühmten Szene beginnen, in der die beiden Königinnen darüber streiten, wer zuerst das Münster betreten darf. Hier bewegen wir uns noch in der Welt des Nibelungenliedes.

Hey, ich darf zuerst rein! Ich bin eine echte Königin, du nur die Frau eines Vasallen!
Pah, mein Mann hat dich im Hochzeitsbett bezwungen, weil deiner nicht dazu fähig war! Da, sieh mal! Ich hab sogar deinen Gürtel, den er dir in dieser Nacht entführt hat! Also gehe ich zuerst rein!
Foto: Akademietheater / Marcella Ruiz Cruz


Aber dieser Einstieg ist zu direkt, zu plötzlich. Die Nornen greifen ein. Diese Frauen, die die Schicksalsfäden spinnen, kommen aber nicht aus dem Nibelungenlied, sondern aus der Edda und aus Richard Wagners "Ring des Nibelungen". Die letzte Oper dieses Vierteilers (Götterdämmerung) enthält ja ebenfalls viele Personen und Szenen aus dem Nibelungenlied. Allerding mit der Riesenvorgeschichte der vorangegangenen Opern, und da kommen eben auch viele Personen aus der Edda vor – vor allem aus der Götterwelt.

Somit sind auch schon die beiden weiteren Werke aufgezählt, die in der Hildensaga neben dem Nibelungenlied ihren Beitrag leisten: Nämlich die Edda und die Götterdämmerung.

Die Nornen beschließen daher, uns die Handlung bis zu dieser Stelle in einer großen Rückblende näher zu bringen.

Wir lernen also Brünhilde kennen, die auf Island auf einen geeigneten Bräutigam wartet. Das ist einer, der es schafft, sie im Speerwurf, Stein-Weitwurf und Weitsprung zu besiegen. Klingt einfacher als es ist: Denn Wotan hat seine Lieblingstochter mit Superkräften ausgestattet, damit eben nicht jeder Dahergelaufene sie gewinnen kann. Das kann eben nur jemand wie Siegfried.

Brünhild und Siegfried auf Island in einer großen Schaumparty
Foto: Akademietheater / Marcella Ruiz Cruz


Auf offener Bühne: 20 min Arbeit, nur um den Schaum wieder von der Bühne zu bekommen.
Dafür haben sich die Bühnenarbeiter dann auch Applaus verdient!

Ich kann jetzt leider nicht die ganze (neue) Story nacherzählen, sonst wird's etwas komplex und unübersichtlich. Es ist also schon hilfreich, wenn man mit ein wenig Vorkenntnissen in die Vorstellung geht. Zumindest das Nibelungenlied sollte einem zumindest so halbwegs geläufig sein, Grundkenntnisse der Edda und Götterdämmerung sind ebenfalls hilfreich. Wagnerfreunden sei noch verraten, dass auch so manches Motiv aus dem Ring vorkommt (Tarnhelm, Siegfrieds Horn).

Nach der Pause befinden wir uns in Burgund. Gunther hat mit List und Täuschung und Siegfrieds Hilfe Brünhild besiegt und bringt die todunglückliche Braut nach Hause. Die Handlung wird dann noch nacherzählt bis eben zu der Stelle vor dem Wormser Dom.

Hier kommt die neue Idee des Autors herein. Die beiden Hilden tun sich zusammen und brechen aus ihrem goldenen Käfig aus. Kriemhild übergibt Brünhild sogar wieder ihren Gürtel.

Sie tragen sogar das gleiche Kleid. Brünhild hat ihren Gürtel wieder.
Foto: Akademietheater / Marcella Ruiz Cruz

Nach der Ermordung Siegfrieds kommen bei Kriemhild (wie im Nibelungenlied) die große Ernüchterung, Trauer und Rachegelüste.

Die beiden beschließen, die Männer sich selbst und ihrem Machtwahn zu überlassen. Das funktioniert ganz wunderbar! Innerhalb kürzester Zeit haben sich Gunther, Gernot, Giselher und Hagen selbst ausgeschaltet. Kriemhild ist allerdings auch tot. Das Stück endet also hier und nicht bei König Etzel in Ungarn! Der ganze Teil mit dem Zug der Burgunder über Rhein und Donau nach Ungarn inklusive Kriemhilds fürchterlicher Rache fällt hier weg.

Übrig bleibt Brünhild. Die letzte Szene ist wieder an Edda und der Götterdämmerung angelehnt. Brünhild löst bei Wagner den Weltenbrand aus, bei dem die alten Götter und die alte Welt untergehen. In der Edda beginnt Ragnarök: Der Fenriswolf reißt sich von seinen Ketten los, verschlingt Sonne und Mond, es wird dunkel. Die Midgardschlange, die bis jetzt die Welt zusammengehalten hatte, kommt an Land, das dadurch überflutet wird; somit geht die alte Welt zugrunde.

Hier ist es eine Mischung aus beidem. Brünhild, die einzige Überlebende, erzählt noch in ein paar Sätzen von Fenriswolf und Finsternis. Es ist dunkel. Der Vorhang fällt. Riesengroßer Applaus!

Völlig zu Recht! Ich finde, hier stimmt einfach alles: Originelle Ideen, witzige Dialoge, einfallsreiche Bühne und Musik, kluge Regie! Die paar Slapstick-Einlagen seien verziehen, sie trüben das Gesamtbild nicht wirklich.

Und last, but not least: Das Ensemble! Durchgehend sehr gut, hier gibt es nichts zu meckern!

Alles in allem also ein schöner, gelungener und versöhnlicher (s. Dantons Tod vor einer Woche) Ausklang des Theaterjahres!

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Ein paar Fotos aus 2015 als kleiner Nachtrag zu Worms und den Nibelungen-Festspielen.










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