Sonntag, 4. Juni 2023

"Ritter, Dene, Voss" im Theater in der Josefstadt

Ich muss zugeben, ich war etwas skeptisch. Ich hab ja noch die Originalbesetzung in Erinnerung, als damals wirklich Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss in diesem Kammerspiel triumphierten.

Für mich war dieses Stück daher irgendwie auf diese drei realen Personen fixiert. Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, dass so ein Remake von "Ritter, Dene, Voss" funktionieren könnte.

Aber sehen wollte ich es dann doch. Das Original liegt ja doch schon Jahrzehnte zurück.

Und siehe da: Und wie das funktioniert hat!

Noch ist die Bühne leer.
Bis auf das zerbrochene Porzellan.
Die Porträts im Hintergrund zeigen Kirsten Dene, Ilse Ritter und Gert Voss (v.l.) 


Der Inhalt ist im Artikel der Wikipedia recht gut beschrieben. In diesem Dreipersonenstück von Thomas Bernhard hat nur Ludwig einen Rollennamen. Die beiden Damen werden nur als "die ältere" bzw. "die jüngere Schwester" bezeichnet.

Auch wenn die Familie im Stück den Namen Worringer trägt, ist klar, dass es um die Familie Wittgenstein geht.

Die Person Ludwig ist dabei ein Zusammenschnitt von Ludwig und Paul Wittgenstein. Ludwig, der bekannte Philosoph und dessen Neffe [1] Paul, der auch im realen Leben etliche Jahre in Steinhof verbracht hat. Thomas Bernhard hat Paul in seinem autobiografischen Werk "Wittgensteins Neffe" ein literarisches Denkmal gesetzt.

Beide Schwestern sind Schauspielerinnen; wobei die jüngere (Ritter) seit Jahren nicht mehr gespielt hat und die ältere (Dene) nur ganz kleine Rollen übernimmt. Sie sind auf diesen Broterwerb auch gar nicht angewiesen, Geld spielt keine Rolle. Ihr Vater hat seinerzeit 51% des Theaters übernommen, sodass nicht der Theaterdirektor, sondern sie bestimmen, ob und welche Rollen sie annehmen.

In helleren Momenten ist Ludwig ein Philosoph, der seine Manuskripte von Dene reinschreiben lässt. Beim letzten Mal hat sie sich aber einen bösen, bösen Fehler geleistet, indem sie das falsche Papier für die Reinschriften verwendet hat. Das hat Ludwig ziemlich aus der Bahn geworfen.

Diese und andere Episoden zeigen schon, dass Ludwig ein eher schwieriger Zeitgenosse ist.

Im Stück kommt Ludwig aus Steinhof "nach Hause" – zumindest sieht das Dene so. Sie möchte, dass sich Ludwig zu Hause wohlfühlt und unternimmt alles, was sie dazu für richtig hält. Sie instruiert ihre jüngere Schwester, was man in Ludwigs Gegenwart sagen und tun darf und was nicht. Sie kocht sein Lieblingsessen (mit viel Soße) und vor allem seine Lieblingsnachspeise: Brandteigkrapfen. Ritter sieht Dene mehr oder weniger teilnahmslos bei ihren Vorbereitungen zu.

Ludwig sieht das allerdings ganz anders. Sein Zuhause ist nicht bei den Schwestern, sondern in Steinhof. Dort fühlt er sich wohl, dort möchte er letztlich auch sterben. Er wird höchstens ein paar Tage mit ihnen in der Wohnung verbringen, dann geht er ganz sicher wieder zurück nach Steinhof. 

Außerdem: Ein Brandteigkrapfen mag ja ok sein; aber für die Menge, die Dene ihm vorsetzt, hat er nur Hohn und Verachtung übrig:


Die gesamte Konversation unter den Geschwistern ist von Heuchelei, Missverständnissen bis zu Hass geprägt. Als Ludwig versucht, die Wohnung zu verändern und dabei Möbel umstellt und Bilder umhängt, bricht endgültig das Chaos aus.

Nachdem sich die Gemüter wieder beruhigt haben und das zerschlagene Porzellan beseitigt ist, sitzen alle wieder einmütig beim Kaffee und tauschen Belanglosigkeiten aus. Im Grunde hat sich nichts verändert.


Sandra Cervik als Dene und Maria Köstlinger als Ritter machen ihre Sache ganz ausgezeichnet! Die rührige Betriebsamkeit der einen sowie die Wurschtigkeit der anderen kommen wirklich gut über die Rampe! Wie gesagt: Ich hätte nie gedacht, dass dieses Stück in anderer als Originalbesetzung funktionieren könnte!

Johannes Krisch als Voss (Ludwig) hat seinen Part ebenfalls sehr gut einstudiert. Sein Ludwig strahlt ständig eine gewisse Gefahr aus; jederzeit muss man mit einer Explosion rechnen. Und er hat sichtlich Freude an seiner Ausstrahlung; er lacht sich ins Fäustchen, wenn seine Schwestern zusammenzucken, wenn er wieder einmal am Tischtuch zerrt! Und die Szene mit den Brrrandteigkrrrapfen meistert er ebenso gut wie seinerzeit Gert Voss!

In manchen Momenten dachte ich, es stünde eine Mischung aus Johannes Krisch, Gert Voss und John Malkovich auf der Bühne! Die Körperhaltung und vor allem die Bewegung von Armen, Hals und Kopf waren original John Malkovich!


Mir hat der Abend außerordentlich gut gefallen; ich bin sehr sehr positiv überrascht worden. Ich glaube, den anderen im Publikum ging es ebenso. Für diese gelungene Leistung hielt ich den Schlussapplaus aber für etwas verhalten. Seltsam. Hätte meinem Dafürhalten nach durchaus kräftiger ausfallen können. 

Wenn ich da zum Vergleich zwei Tage zurückdenke an das Rheingold in der Staatsoper. Da war ganz was anderes los in der Hütte!


[1] Genau genommen war Paul kein direkter Neffe von Ludwig. Pauls Vater (ebenfalls Paul) und Ludwig waren bereits Cousins und keine Brüder.

Ludwig hatte noch einen älteren Bruder, der ebenfalls Paul hieß und Pianist war. Er verlor im 1. Weltkrieg seinen rechten Arm, konnte seine Karriere aber fortsetzen. Er bestellte bei mehreren Komponisten Konzerte für nur den linken Arm


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