Donnerstag, 25. Februar 2016

Thomas Bernhard: Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft ★★★★☆

Thomas Bernhard: Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft 



Quelle: suhrkamp

Dieses Buch wird allgemein als der sechste Band der Autobiografie Thomas Bernhards angesehen. Es behandelt die Jahre 1967 bis 1979 und beginnt damit,  dass Thomas Bernhard und Paul Wittgenstein gleichzeitig im Wiener Krankenhaus am Wilheminenberg waren.

Für mich gab es diesmal noch eine spezielle Premiere: es war mein erstes Hörbuch. Meine Erfahrungen damit folgen im Anschluss an die eigentliche Buchbesprechung.



1967, T.B. macht wieder einmal sein Lungenleiden zu schaffen, daher findet er sich auf der Lungenheilanstalt Baumgartner Höhe wieder. Dieses Krankenhaus besteht aus mehreren Häusern, den sogenannten Pavillons. T.B. liegt im Pavillon Hermann.

Gleich anschließend an die Baumgartner Höhe befindet sich die Psychiatrische Station Am Steinhof, die von der Baumgartner Höhe nur durch einen löchrigen Zaun getrennt ist. Obwohl Übertritte in den anderen Abschnitt eigentlich verboten sind, müssen Pfleger täglich Patienten wieder einsammeln und in ihre richtigen Pavillons bringen.

Während T.B. also im Pavillon Hermann liegt, ist sein langjähriger Freund Paul Wittgenstein im Pavillon Ludwig untergebracht. Der Name "Ludwig" für den Pavillon ist kein Zufall, denn Paul ist ein Neffe des berühmten Philosophen Ludwig Wittgenstein. Es ist nicht Pauls erster Aufenthalt in der Psychiatrie und es wird bis zu seinem Tod 1979 auch nicht sein letzter sein.

T.B. beschreibt in diesem Buch den langsamen Niedergang dieses etwas verschrobenen Genies, aber auch die besseren Zeiten, die sie miteinander vor 1967 verbracht hatten. So waren sie beide Musikbegeisterte. Paul war vor allem in der Oper in Wien gefürchtet, weil er im Publikum immer als erster Bravo- oder Buh-Rufe losließ, in die dann das restliche Publikum einstimmte. So konnte er eine Aufführung retten oder in den Boden verdammen, ganz nach Belieben.

Eines Tages wollten sie in der Neuen Zürcher Zeitung einen Artikel über Mozarts "Zaide" nachlesen, konnten die NZZ aber weder in Salzburg, Wels, Linz noch in anderen Orten auftreiben. Sie fuhren einen ganzen Tag lang kreuz und quer durch die Gegend, nur um die NZZ zu bekommen - letztlich erfolglos. Die Folge ist ein vernichtendes Urteil im Buch:
"Ein Ort, an dem man die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommt, ist ein Drecksort. Anders kann man es nicht sagen."

Oder: 1972, Verleihung des Grillparzer-Preises an T.B. Paul, der ihn zur Preisverleihung begleitet hatte, war einer der wenigen im Saal, die ihn kannten, die Ministerin (Hertha Firnberg) gehörte jedenfalls nicht dazu. Sie sitzt bereits neben ihm, erkennt ihn aber eben nicht und fragt in den Saal "Wo ist er denn, der Dichterling?".

Oder ein ähnliches Erlebnis 1968 bei der Verleihung des Staatspreises an ihn, als der verärgerte Minister Piffl-Perčević aus dem Saal stürmt und seine gesamte Entourage ihm nach. Zurück bleiben Paul und Thomas sowie sein "Lebensmensch".

Das Buch endet mit dem Tod von Paul. Ursprünglich in eine der reichsten Familien Alt-Österreichs hineingeboren, stirbt er völlig verarmt während eines Krankenhausaufenthaltes in Linz. Dazwischen hat er sein gesamtes Vermögen praktisch verschenkt, bündelweise verteilt er Geldscheine auf der Straße. Die Familie sorgt dafür, dass er noch als beinahe 60-jähriger eine Anstellung bei einer Versicherung bekommt.

Natürlich gibt es rund um diese Freundschaft mit Paul auch noch andere Erlebnisse aus seinem Leben, sodass man wahrscheinlich wirklich von einem autobiografischen Werk sprechen kann. Allerdings habe ich das Gefühl, dass hier der Anteil an Fiktion etwas höher ist als in den Romanen davor. Es wird Zeit, dass ich bei Gelegenheit die neue Biografie über T.B. lese!

Hörbuch-Erfahrungen

Ich muss zugeben, dass ich mich lange gegen Hörbucher gesträubt habe. In erster Linie deshalb, weil ich schneller lese als ein Buch üblicherweise vorgelesen wird. Vielleicht auch, weil ich mir unbewusst etwas faul und unnötig vorkomme, wenn ich mich einfach nur zurücklehne und mir vorlesen lasse.

Aber ich muss sagen: es hat schon was.

Ich hatte das Hörbuch als mp3-Datei auf meinem Smartphone gespeichert. Die App zum Abspielen, die ich verwende, hat aber die Möglichkeit, das Abspieltempo zu verändern. Im konkreten Fall hatte ich den Faktor 1,4 eingestellt; hier ist die Sprache noch einwandfrei zu verstehen und die an sich markante und tiefe Stimme von Thomas Holtzmann, der dieses Buch liest, wird dabei auch nicht zu hoch oder gar fiepsig. Somit ist dieses Argument gegen Hörbucher also keines mehr.

Allerdings bin ich mir wirklich etwas unnötig vorgekommen, als ich mich einfach nur zurücklehnte und mir vorlesen ließ. Die Konzentration lässt nur Tätigkeiten zu, die weitgehend automatisiert sind (zB. handarbeiten); irgendeine Tätigkeit, die mit Text (lesen) verbunden ist, geht gar nicht.
Aber fahren in Bahn oder U-Bahn oder sogar gehen auf den Wegen dazwischen eignen sich wunderbar dafür. Gerade bei den Fußwegen ist das Hörbuch klar im Vorteil gegenüber dem klassischen oder elektronischen Buch, weil der Blick für den Weg frei bleibt.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist für mich noch das Gewurschtel mit dem Kopfhörerkabel, vor allem in Verbindung mit Schal und Winterjacke - ich hatte bisher ja nicht nur kein Hörbuch, sondern auch keine Musik unterwegs gehört. Aber ich bin ja flexibel und lernfähig - noch.

Alles in allem also halte ich das Hörbuch für eine durchaus gangbare Alternative zum herkömmlichen Buch. Mal sehen.

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