Mittwoch, 29. Dezember 2021

Stadttheater Baden: Othello

Am 21. Dezember besuchten Jutta und ich eine Aufführung von Othello. Das war ein Gastspiel des Landestheaters St. Pölten im Stadttheater Baden.

Aufmerksam wurde ich auf diese Inszenierung durch eine sehr wohlwollende Rezension in der Presse (Artikel leider hinter Bezahlschranke, der freie Teil ist aber trotzdem lesenswert). Die machte mich so neugierig, dass ich dieses Stück unbedingt sehen wollte.

Die wohlwollenden Rezensionen zogen weitere Kreise. Wie der ORF berichtete, lockte die Neueinstudierung sogar den Korrespondenten der New York Times nach St. Pölten. Das schaffen nur wenige österreichische Inszenierungen abseits der absoluten Hochburgen Wien, Salzburg und Bregenz. Ich bin sicher, der Artikel der NYT hängt eingerahmt irgendwo in den Büros des Landestheaters!

Was macht diesen Othello also so speziell? Es ist die originelle Grundidee, das Stück in einen Boxclub der heutigen Zeit zu versetzen! Othello ist ein erfolgreicher und gefeierter Boxer dieses Clubs, Iago ist sowohl sein Trainer als auch der von Desdemona und Cassio.

Vor Beginn der Vorstellung: Desdemona beim Aufwärmen

Ein weiterer nicht unwesentlicher Aspekt: Erstens wird Othello von einem Schwarzen gespielt, der Deutsch nicht als Muttersprache hat (Nicholas Monu); und zweitens hat ein Schwarzer auch Regie geführt (Rikki Henry).

Beide können sicherlich ein Lied davon singen, was es heißt, als Schwarzer in Deutschland oder Österreich zu leben.

Ähnlich erging es Othello. Als Schwarzer in Venedig gilt er als fremd und in seinem Fall vor allem als "Emporkömmling". Er schafft es bis in höchste Kreise Venedigs; seine Verlobte Desdemona ist immerhin Tochter eines dortigen Adeligen. Das wird nicht von  allen alteingesessenen Venezianern gern gesehen; Neid und Eifersucht machen sich breit. Aber er hat als erfolgreicher Feldherr Zypern von der osmanischen Bedrohung befreit und genießt daher das Wohlwollen des Senats.

Nach diesem Befreiungsschlag bleibt er in Zypern und heiratet sogar seine Desdemona. Das lässt so manchen, der sich ebenfalls Hoffnungen gemacht hatte, die Faust in der Tasche ballen.

Am schlimmsten aber trifft es Iago – zumindest in dessen Augen. Er stand immer treu zu Othello und hat alles Mögliche für ihn unternommen. Und dann – wird er von Othello übergangen, als es darum geht, wer sein Stellvertreter sein soll. Nicht er, Iago, wurde es, sondern dieser im Vergleich zu ihm unerfahrene Michael Cassio.

Iago schäumt. Er kennt jetzt nur noch zwei Ziele: Erst muss Cassio weg, danach auch noch dieser Mohr, dieser Othello. Rassismus ist ein Grundthema dieses Stückes. Wenn Othello nicht in der Nähe ist, kennt Iago diesbezüglich keine Zurückhaltung.

Das erste Ziel ist relativ leicht und schnell erreicht. Iago bekommt mit, dass Cassio keinen Alkohol verträgt. Es gelingt ihm aber, ihm ebensolchen einzuflößen, obwohl er Wachdienst hat. Iago überredet Roderigo, Cassio in einen Streit zu verwickeln, was diesem mit dem betrunkenen Cassio auch leicht gelingt. Die wilde Rauferei ruft sogar Othello auf den Plan, der versucht, den Streit zu schlichten. Als er den betrunkenen Cassio bemerkt, degradiert er ihn und macht ihm klar, dass er als sein Stellvertreter nie wieder in Frage kommen wird.

Für das zweite Ziel macht sich Iago die Eifersucht Othellos zunutze. Cassio versucht bei Desdemona, sie zu überreden, dass sie ein gutes Wort für ihn bei Othello einlegen möge. Desdemona macht das tatsächlich und spricht Othello offen gegenüber aus, dass Cassio sie darum gebeten hat. Also kein Grund zur Eifersucht.

Noch nicht. Denn kurze Zeit später bekommt Iago über einige Umwege ein Tuch Desdemonas in seine Hände, das Othello dieser einmal geschenkt hatte und das für ihn einen hohen emotionalen Wert hat, weil er es seinerseits von seiner Mutter bekam. Iago weiß das alles und gibt es dem ahnungslosen Cassio. Als Othello das Tuch bei Cassio sieht, ist seine Eifersucht entfacht.

Iago möchte auf Nummer sicher gehen. Er arrangiert daher ein Treffen, bei dem gar nicht über Desdemona gesprochen wird. Das glaubt Othello nur, der auf Anweisung Iagos im Hintergrund zuhört. Das Gespräch macht Othello sicher: Desdemona ist eine Hure, er muss handeln. So nimmt das Unheil seinen Lauf. Kaum hat er Desdemona niedergeboxt und erdrosselt, wird ihm klar, dass sie vollkommen unschuldig ist.

* * *

Wir fanden die Idee mit dem Boxclub originell und schlüssig, ebenso die Besetzung Othellos mit Nocholas Monu. Sein ausländischer Akzent macht die Fremde Othellos in dessen Umgebung noch einmal deutlicher. Als es ins Eingemachte ging, fiel er sogar an paar Stellen ins Englische zurück. Das Bühnenbild ist sehr minimalistisch, es enthält aber alles, was es braucht. Tim Breyvogel als Iago fühlt sich hier wohl, hier laufen die Spinnfäden seines fatalen Netzes zusammen. Diese Rolle hat einen sehr hohen Anteil am Text, Tim Breyvogel schafft das aber mühelos.

Der Text war stark gekürzt, bis an die Grenze der Verständlichkeit. Nur wenige Stellen mussten angepasst werden, sodass sie zum Boxclub passten.

Apropos Verständlichkeit. Die – nämlich die akustische – war leider sehr schlecht. Wenn wir das Stück nicht gekannt hätten und somit gewusst hätten, was auf der Bühne vorgeht, hätten wir ihm nicht folgen können. Mindestens die Hälfte des Textes war schlicht unverständlich. Ich bilde mir ein, dass es etwas besser war, wenn die Darsteller an der Rampe standen als wenn sie sich tiefer in der Bühne aufhielten. Vielleicht ist auch die Akustik in Baden anders als in St. Pölten. Aber hier hätte man auf alle Fälle gegensteuern müssen!

Eine Stunde vor Beginn gab es noch einen Einführungsvortrag zum Werk. Fanden wir sehr aufschlussreich, vor allem was das Rundherum zu Zeit und Gesellschaft des Werkes betraf. Leider war nach 30 Minuten Schluss, sodass wir noch eine halbe Stunde Leerlauf hatten. Coronabedingt (ja, kein Post ohne Corona) gab es kein Buffett und somit auch nichts zu trinken, wir hätten also nach draußen gehen müssen. Wintermäntel waren aber schon in der Garderobe abgegeben.

Glücklicherweise trafen wir Freunde, sodass die Wartezeit angenehm verkürzt war. Außerdem haben wir uns gleich einen nächsten Termin für das Stadttheater Baden reserviert. Da steht dann eine von Paulus Hochgatterer dramatisierte Fassung von Elias Canettis "Blendung" auf dem Programm; Regie: Nikolaus Habjan. Klingt sehr verlockend und vielversprechend!



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen