Mittwoch, 27. Oktober 2021

Riga 2021 - Teil 2

In Teil 2 berichte ich über die Moskauer Vorstadt mit ihren alten Holzhäusern, der Synagoge, dem Markt und der Akademie der Wissenschaften. Außerdem über das Städtische Museum, über einen Ausflug zum Ostseestrand sowie eine Panoramafahrt auf der Düna.

Und dann gibt es noch eine spannende Geschichte, die von Vergesslichkeit und/oder Blödheit handelt; die aber ein sehr erfreuliches happy end hat!



Moskauer Vorstadt

Der Name "Moskauer Vorstadt" kommt einerseits von der ehemaligen Fernstraße, die nach Moskau führte. Andererseits lebten in diesem Viertel immer schon vorwiegend Russen – bis heute. Lettland hat eine große russische Minderheit. Unter Stalin wurde dieser Stadtteil als Arbeiterviertel ausgebaut und hauptsächlich mit Russen besiedelt.

Aus der Zarenzeit sind auch noch zahlreiche Holzhäuser übrig, die heute unter Denkmalschutz stehen und Teil des UNESCO-Welterbes sind. Allerdings sind diese Häuser schon schwer baufällig, dürfen aber dennoch nicht abgerissen werden.




Auffallend viele lettische Fahnen an den Häusern. Soll den hier wohnenden Russen verdeutlicht werden, dass hier Lettland ist?
Links im Hintergrund übrigens die Pauluskirche



Weiters auffallend: Jeder zweite Laden hier ist ein Brautmodengeschäft

Diese recht junge Skulpturengruppe in der Moskauer Vorstadt ist als Kulisse für Hochzeitsfotos recht beliebt. Rauchfangkehrer bringen ja bekanntlich Glück!


In diesem Viertel sind auch noch die Überreste der Synagoge zu sehen. Sie war Teil des Rigaer Ghettos. Fürchterliche Verbrechen haben sich hier abgespielt. So wurden am 4. Juli 1941 etwa 400 Juden in diese Synagoge gesperrt, die Holzmöbel mit Benzin übergossen und angezündet. So wurden im Dezember 1941 an die 28.000 lettische Juden im nahen Wald erschossen, um für aus Deutschland deportierte Platz zu machen. Und so weiter. Unfassbar.







Riga ist immerhin die größte Stadt des Baltikums; aber im Vergleich zu anderen Hauptstädten doch eher klein (knapp 630.000 Einwohner). 

Umso überraschender sind die Dimensionen des Rigaer Zentralmarktes. Da ist der Naschmarkt in Wien  (der ebenfalls mitten in der Stadt liegt) bloß ein müder Abklatsch. Die Stadt Riga kaufte in den 1920er-Jahren zwei jeweils 240m lange Luftschiff-Hangars aus einer Militärbasis auf und machte daraus fünf Markthallen. Dazu kommt noch ein ebenso großes Freigelände. Ergibt in Summe ein riesiges Marktgebiet.

Im Hintergrund eine der fünf Markthallen

Konserviertes Huhn (geräuchert) sieht man bei uns nicht

Die Marktstände sind alle in einem einladenden1a-Zustand

geräucherter ...

... und roher Fisch

Vor den Hallen gibt es noch ein ausgedehntes Freigelände




Vom Markt nur durch eine Wiese getrennt steht die Akademie der Wissenschaften; genauer: Der Kultur- und Wissenschaftspalast. An sich ein hässliches Relikt aus dem Stalin-Barock. Aber der Turm hat eine äußerst attraktive Aussichtsplattform, sodass wir dann doch drinnen waren.



Die Düna etwas stromaufwärts steht ein sehr schlanker Fernsehturm

Im Vordergrund der Zentralmarkt.
In der Mitte die Eisenbahnbrücke über die Düna.
Im Hintergrund die neu erbaute Nationalbibliothek.

Die Türme von links nach rechts gehören zur Peterskirche, zum Dom und zur Jakobskirche



Städtisches Museum Riga

Genau genommen heißt es "Stadtgeschichte und Schifffahrtsmuseum" und enthält genau das, was es benennt. Wir haben uns darin relativ lange aufgehalten, weil es wirklich interessant war; vor allem der stadtgeschichtliche Teil. Vom Schifffahrtsteil hätte ich mir ein wenig mehr erwartet; da waren hauptsächlich ein paar Schiffsmodelle ausgestellt, aber nichts zur Geschichte und Entwicklung der Schifffahrt an sich.

Eingang zum Museum

Goldschmuck als Grabbeigabe

Reste eines antiken Schiffes

Passend zur Schifffahrt: Eine Karte der Hanse. Dieses Handelsnetz erstreckte sich von den Britischen Inseln über das heutige Deutschland und Polen bis in das Baltikum

Das Wappen Rigas. Aus dem halb geöffneten Burgtor schaut ein Löwe heraus.
In späteren Formen kam dann noch die schwedische Krone dazu (oberhalb der Schwerter)

Mit solchen Schlagstempeln wurden früher Münzen geprägt (geschlagen)

Und so erging es Geldfälschern: Hand ab!
Zwei mumifizierte Hände sind im Museum ausgestellt.

Bekleidung für wohlbestallte Personen.
Die abgerissenen Fetzen des gewöhnlichen Volkes werden üblicherweise nicht ausgestellt.

Tambour ...

... mit interessantem Innenleben. Er konnte trommeln und den Kopf bewegen.

Im Haus gibt es auch einen Festsaal, der heute ebenfalls als Ausstellungsraum dient

Hier sind zahlreiche Eichmaße für Volumen und Gewicht ausgestellt

Musikinstrumente. Interessant fand ich die "Russischen Hörner" ganz rechts. Die können nur einen Ton produzieren und sind somit so etwas wie mundgeblasene Orgelpfeifen.

Freimaurer gab es auch in Riga

Dieses gewaltige Schloss konnte man mit einer kleinen zweiflügeligen Tür verschließen, wenn kein Schlüssel steckte!

Sehr schönes Exemplar eines Grammophons

Stechuhr, die den Namen auch verdient. Also wirklich Karte reinstecken und stempeln.
Nicht bloß eine kontaktlose Karte hinhalten so wie heute!

Ist leider etwas schwierig zu erkennen.
Aber diese Tasse ist speziell für Schnauzbart-Träger entworfen.
Der Bart liegt auf der Porzellanbrücke auf, durch den Tunnel kann der Kaffee oder Tee trotzdem geschlürft werden!

Noch einmal Musik, diesmal ein Polyphon

Schiffsmodell

Schiff in Bau



Ausflug nach Jūrmala

Riga selbst liegt nicht an der Küste, sondern am Unterlauf des Flusses Düna (lettisch: Daugava). Um die Erfrischung im Meer zu genießen, fahren die Rigaer etwa eine halbe Stunde nach Jūrmala (der Querbalken auf dem u deutet an, dass der Vokal lang gesprochen wird; es ist kein ü wie in über). Jūrmala umfasst mehrere Orte; wir sind etwa in Bulduru ausgestiegen und zu Fuß bis nach Majori spaziert (etwa 3km). Dazwischen gibt es ausgedehnte Sandstrände wie in Italien – bloß das Wasser ist kühler. 

Ziemlich kühler. Wir waren am 20. August dort und das Wasser hatte nur 16 Grad. Egal, Martin war trotzdem ganze 45 Minuten schwimmen. Ich hab nicht einmal eine Zehenspitze reingehalten.

In Riga wird gerade ein neuer Hauptbahnhof gebaut

Unser Zug fährt ein

Ein relativ neuer Wagen, dennoch diese Stufen!

Hier gibt es auf jeder Seite des Ganges drei Sitzplätze; bei uns sind es nur zwei. Die russische Breitspur, die es auch in Lettland gibt, macht breitere Wagen möglich!

Bulduru

Weg zum Strand

Am Strand war nix los. Es war zwar etwas bewölkt und zeitweise sonnig, aber auch etwas windig.

16 Grad Wassertemperatur

Martin ...

... verschwindet in den Weiten der Ostsee.

Strand wie in Italien. Sandig, und geht sehr flach in Wasser.


In Jūrmala gibt es noch einzelne Holzhäuser von früher. Einige sind wirklich schön erhalten, aber sehr viele sind baufällig. Dafür gibt es Ferienwohnungen für neureiche Russen und Weißrussen. Und derer muss es etliche geben. Unglaublich, was da schon hingebaut wurde und immer noch hingebaut wird!

Strandabschnitt für exklusivere Gäste

Sehr schönes Beispiel eines gut erhaltenen Holzhauses

Das Reiterstandbild vor der Villa spricht Bände!

Dieses alte Holzhaus hat einen Retter gefunden!

So soll es nach der Renovierung aussehen!

Der Rest sieht so aus

Mitten im Wald gibt es diesen wirklich großen und schön angelegten Klettergarten


Auch dieser Aussichtsturm gehört dazu. Wir waren aus Zeitgründen aber nicht oben.

Solche Villen sieht man einige


Das ist ein wirklich o(h)rigineller Kellerabgang!

Fahrrad mit Beiwagen

Wir sind jetzt schon in Majori. Auf einer belebten Kreuzung steht ein großer Bronze-Globus.
Martin zeigt grad "You are here"

Vergrößerte Postkarte von anno dazumal auf einer Kioskwand in Majori.
"Gruß vom Rigaschen Strande. Montag den 9. - Mittwoch d. 11. August 1899"


Ein Nebenfluss der Düna bildet eine große Schleife und kommt dem Bahnhof Majori recht nahe.
Diese Schleife wird uns später noch einmal begegnen.



Bootsfahrt auf der Düna

Es ist bereits Sonntag, der 22. August – Tag der Abreise. Unser Flug ging aber erst am späten Nachmittag, sodass wir den Vormittag noch für eine Panorama-Bootsfahrt auf der Düna nutzen konnten.

In Riga fand gerade ein mehrtägiges Hanse-Fest statt. An der Uferpromenade der Düna wurden die wichtigsten Städte der Hanse präsentiert


Im Hintergrund die Nationalbibliothek
Das Gebäude wurde für die Kulturhauptstadt Riga errichtet und 2014 eröffnet.

Eisenbahnbrücke über die Düna.
Anlässlich unseres Ausflugs nach Jūrmala sind wir da ebenfalls drübergefahren

Sehr schlanker Nadelturm für diverse TV-Sender

Die alten Speicher neben dem Markt. Links im Hintergrund eine der Markthallen.

Jakobskirche und Dom


Neben der Bogenbrücke für die Bahn gab es früher schon einmal eine Brücke; die Pfeiler stehen immer noch im Fluss. 

Einer davon wird seit kurzem als Podest für das Kunstwerk "homo democraticus" verwendet. Es stellt das parlamentarische System dar: Viele Hände, die nicht unbedingt in die gleiche Richtung arbeiten.

Das Projekt „Homo Democraticus“ entstand im Rahmen der Skulpturen-Quadriennale Riga 2020. Der Autor der Skulptur ist Donatas Mockus. Das Bild der Skulptur ist ein "Monster", in das sich die gewählten Volksvertreter verwandeln. Anstatt sich als ein einziger Organismus auf ein gemeinsames Ziel, Prinzip oder Wert zuzubewegen, vereinen sie sich, wenn sie an die Macht kommen, und streben nicht mehr nur nach Profit und befriedigen ihre eigenen Interessen, nicht die der Gesellschaft. Statt Bewegung und Fortschritt gibt es peinliches Gezänk am Boden. [Quelle:  https://ursus.lv/lv/projekti/homo-democraticus]

homo democraticus

Sehenswertes Video über den Transport des homo democraticus.
Zur Verfügung gestellt von der Transportfirma.



Heimreise

Die war noch einmal richtig spannend.

Diese folgende Geschichte erzählt von Vergesslichkeit und Hans im Glück und hat ein happy end!

Wir hatten am Sonntag Vormittag unser Gepäck im Hotel deponiert und kehrten nach der Bootsfahrt dorthin zurück. Wir ließen uns von der Rezeption noch ein Taxi rufen, das uns zum Flughafen brachte. Das Taxi kam, wir fuhren zum Flughafen, stiegen aus und betraten das Terminal.

Wir waren schon nach dem security check als Jutta mich fragt, wo ich denn meine Kamera hätte. Na, um den Hals gehängt, wie imm... Ähh, verdammt, da ist keine Kamera! Oh nein, ich hab sie im Hotel liegen gelassen!

Also schnell noch am Flughafen eine Email ans Hotel geschickt mit der Frage, ob ihnen dort eine fremde Kamera aufgefallen ist. Als Antwort kam zurück: Nein, hier ist keine Kamera. 

Die Kamera kann also jetzt nur noch im Taxi sein! Gut, dass wir das Taxi nicht selbst bestellt hatten, sondern die junge Dame an der Rezeption. Die weiß sicher noch, mit welchem Taxiunternehmen sie da gesprochen hatte; wir hätten das sicher nicht mehr gewusst. Also schnell noch eine weitere Email ans Hotel mit der Bitte, sie mögen doch noch einmal beim Taxiunternehmen anfragen, ob dort vielleicht eine Kamera ein einem der Wagen liegt.

Inzwischen mussten wir ins Flugzeug und genossen den ruhigen Flug nach Wien.

Kaum gelandet, hab ich natürlich sofort am Handy den Flugmodus beendet. Und tatsächlich! Antwort vom Hotel: Kamera gefunden, Taxifahrer hat sie schon bei uns abgeliefert!

Jetzt ging es "nur" noch darum, die Sendung der Kamera von Riga zu uns zu organisieren. Der Hotelmanager hat das in die Hand genommen und sie via UPS versendet. Zehn Tage nach unserer Rückkehr kam auch die Kamera bei uns an!

Es ist kaum zu glauben, es hat tatsächlich funktioniert! Noch jeder, dem ich diese Geschichte erzählt erzählt hab, hat ungläubig den Kopf geschüttelt über diesen Ausgang der Geschichte. Aber seien wir froh: Die Welt wird nicht nur von Gaunern bevölkert! 

Das Hotel hat lediglich das Porto für die Übersendung verrechnet, sonst nichts. Das kann nicht sein! Ich hab ihnen dann zum Dank ein "typisches Österreich-Paket" geschickt. Inhalt: Manner-Schnitten, Mozartkugeln und Handl-Speck. Ist (in jeder Hinsicht) gut angekommen.

Ende gut, alles gut!


Der Schatten unseres Flugzeuges

Hier noch einmal die vorhin erwähnte Fluss-Schleife. Ganz oben an diesem Omega liegt Majori.

* * * * * * *


Riga ist ein ausgezeichnetes Reiseziel für ein verlängertes Wochenende. Klein, überschaubar, abgesehen vom Strandausflug alles fußläufig erreichbar, und trotzdem viel zu sehen und zu erleben! Wir haben die paar Tage dort jedenfalls sehr genossen und in schöner Erinnerung.

Und ein Hotel können wir auch empfehlen. Es wird von ehrlichen Leuten betrieben! Ich weiß das.



Ende des Reiseberichts

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