Freitag, 30. August 2019

Wochenende in Düsseldorf - Teil 2

Der Freitag stand ganz im Zeichen von Ai WeiWei und seiner großen Ausstellung im K20 und K21. Am Nachmittag blieb dann noch Zeit, die Altstadt fertig zu erkunden.


Detail aus "life cycle"


Freitag, 23. August


Das K21 war von unserem Hotel nicht allzu weit entfernt. Da wir bis zur Öffnung des Museums noch etwas Zeit hatten, machten wir einen kleinen Umweg und besuchten den Stahlhof. Das Gebäude wurde vom Verband der Stahlbarone errichtet und sollte durchaus repräsentativ sein - ist ihnen gelungen, wie man sieht. Nach dem Zweiten Weltkrieg war hier die britische Militärverwaltung untergebracht. Wie schon im ersten Teil erwähnt, war es diese britische Verwaltung, die das neue Land NRW konzipiert hat. Das Haus hat also für das Land große historische Bedeutung!

Der Stahlhof als Machtdemonstration der Stahlindustriellen



Die Kunstsammlung NRW ist auf drei Häuser aufgeteilt, in zweien davon findet die Ai WeiWei-Ausstellung statt. Das ältere (zumindest der Außenfassade nach) ist das sogenannte K21 und beschäftigt sich vornehmlich mit Kunst des 21. Jahrhunderts. Es ist das alte Ständehaus, das früher den Landtag für die Provinz Rheinlande und später den Landtag für das neugeschaffene Bundesland NRW beherbergte. 1988 bekam der Landtag ein neues Gebäude beim Rheinturm (werden wir später noch sehen), somit wurde das Ständehaus für eine andere Nutzung frei. Nach jahrelangem Leerstand und einem größeren Umbau konnte es dann 2002 als Museum K21 eröffnet werden. Die Wechselausstellungen finden dabei im neu geschaffenen Untergeschoß statt.

Das alte Ständehaus, heute K21. Es steht am Rande des Kaiserteichs, ...

... Vater Rhein und seine Töchter verbinden den Kaiserteich mit dem Ständehaus


Freitag war dann eben für uns der Tag des Ai WeiWei. Ich kannte gerade einmal seinen Namen und wusste, dass er ein Stachel im chinesischen Regime-Fleisch ist, der schon auch einmal weh tun kann. Ich wusste auch, dass er deshalb eine Zeit lang inhaftiert war und später Ausreiseverbot hatte, und ich wusste auch, dass er inzwischen im Westen lebt. Ich kannte aber nicht die näheren Umstände von all dem.

Seit 2005 schrieb er in einem Blog gegen das Regime und vor allem die Korruption an. Die darauf folgenden Repressalien gegen ihn erlebten einen ersten Höhepunkt, als er nach dem Erdbeben in Sichuan (2008) Recherchen anstellte und dabei unglaubliche Baumängel wegen ebenso unglaublicher Korruption aufdeckte. [Dieses Erdbeben wird uns später noch einmal unterkommen.] Das Regime schlug zurück - und zwar wortwörtlich: ein Schlag auf seinen Kopf löste 2009 eine Gehirnblutung aus, die dann erst später behandelt wurde.

2011 wurde noch einen Gang höher geschaltet. Zunächst wurde Anfang des Jahres sein Atelier abgerissen - Ai WeiWei hat das alles fleißig dokumentiert. Anfang April wurde er dann auf dem Flughafen Peking verhaftet und an einem unbekannten Ort festgehalten. Der Vorwurf lautete ganz allgemein "Wirtschaftsverbrechen", erst Wochen später wurde er auf "Steuerschulden" konkretisiert. Nach zweieinhalb Monaten wurde er gegen Kaution freigelassen, durfte aber Peking nicht verlassen und auch nicht mit Journalisten sprechen. Als dann  im November bekannt wurde, dass er 1,7 Millionen Euro Steuer nachzuzahlen hätte, gingen unzählige Spenden bei ihm ein, um damit die Steuerschuld zu begleichen. Jeder Spender bekam einen Schuldschein und später wurden die Spenden auch zurückgezahlt [Auch die Schuldscheine werden uns noch einmal begegnen]. Nachdem der Vorwurf der Steuerschuld aus der Welt geschafft war, musste sich das Regime neue ausdenken, und die reichten von Pornografie bis zu Bigamie. Bis Mitte 2015 wurde er hingehalten, zu diesem Zeitpunkt bekam er seinen Pass zurück und durfte somit ausreisen. Seit Ende 2015 lebt er in Berlin und hat dort eine Gastprofessur an  der Universität  der Künste.

Seit seiner Ausreise in den Westen treiben ihn vor allem die Themen Krieg, Zerstörung, Flucht, Flüchtlingslager und Aufnahmegesellschaften um. So hat er etwa unzählige Flüchtlingslager besucht und die Zustände dort dokumentiert; oder hat Kleidung aufgesammelt, die von den Flüchtenden unterwegs zurückgelassen wurde. All das schlägt sich dann in den Ausstellungen nieder.

Gleich, wenn man das Untergeschoß des K21 betritt, fallen die vielen Kleiderständer auf - wie in einem Kaufhaus. Das sind genau die vorhin erwähnten Kleidungsstücke, die er gesammelt hat. Sie wurden fein säuberlich gewaschen und sortiert, jedes Stück mit einem Kleiderbügel versehen. Und es sind wirklich viele - sehr viele.

Fotos und Kleiderständer
Das ist nur ein winziger Ausschnitt, ein Drittel des Kellers sieht so aus!



Der Boden, auf dem die Kleiderständer stehen, ist mit Nachrichten und Zeitungsausschnitten aus aller Welt zum Thema Flucht ausgelegt, die Wände mit entsprechenden Fotos. Auch hier ist es wieder die Masse, die wirkt.
Der Boden ist mit Nachrichten ausgelegt

Die Bekleidung ...

... sortiert wie in einem Kaufhaus

Ai WeiWei arbeitet überhaupt gerne mit Massen, im Sinne von "viel von der gleichen Art". Sehr gut zu sehen war das auch im nächsten Raum, in dem sich eine 17m lange Skulptur befand, die aus unzähligen Bambusstäbchen besteht, die mit Sisalgarn zusammengebunden sind; und somit an den klassischen chinesischen Drachenbau erinnert. Dieses filigrane Gebilde stellt ein Schlauchboot dar, wie es sehr häufig von Flüchtenden auf dem Meer verwendet wird. Das Boot ist mit 110 Personen besetzt, die aber als gesichts- und namenlose Wesen keine Erinnerung bei uns mehr hinterlassen. Zu viele derartige Nachrichten strömen täglich auf uns ein. Unter den Passagieren befinden sich auch die 12 chinesischen Tierkreiszeichen und symbolisieren damit die lange Dauer und die ewige Wiederholung dieses Zustandes. Er nennt dieses Kunstwerk daher auch "life cycle".

Das Schlauchboot ist trotz seiner Größe eine sehr feine und zerbrechliche Skulptur

Tausende Bambusstäbchen zusammengeknüpft

Der Hahn ist eines der 12 chinesischen Tierkreiszeichen

Ein Rettungsring aus Marmor ist nicht wirklich hilfreich

Sechs große Teller und Vasen wurden in alter chinesischer Porzellantradition hergestellt.
Hier der Teller mit den Ruinen, die der Krieg zurücklässt.

Fotos aus früheren Zeiten

Dieses Foto wird uns im K20 noch einmal begegnen

Ai WeiWei hat die Zeit seiner Haft später in einem Video nachgestellt. Dieses Video wird einerseits in der Ausstellung gezeigt, andererseits sind die Szenen aus diesem Video in einem weiteren Raum plastisch dargestellt. Da stehen zunächst einmal sechs große, verrostete Eisenblöcke herum. Erst wenn man näherkommt bemerkt man, dass es da kleine Fenster gibt, durch die man in diese Kisten reinschauen kann. Innen sieht man dann eben die Szenen in der Gefängniszelle, die man aus dem Video schon kennt: permanente Überwachung durch zwei Wächter beim Essen, beim Waschen, beim Duschen, auf dem Klo, sogar beim Schlafen. Hier wird die Beklemmung wirklich spürbar!

Hier zunächst das wirklich sehenswerte Video ("dumbass"):



Und hier dessen physische Umsetzung:






Der Keller des K21 liegt schon unterhalb der Wasserlinie des Kaiserteiches. Bullaugen erlauben einen Blick nach draußen.

Nach dieser beeindruckenden Ausstellung gingen wir auch noch durch die anderen Räume in den Obergeschoßen. Die haben dann schon weniger Eindruck hinterlassen:



Obwohl: Man spürt die tiefe Transzendenz, die in diesen Schränken steckt.

Und erst die Schwingungen, die von den darin stehenden Schemeln ausgehen!

Wirklich beeindruckend war aber die Installation unter der Kuppel namens "sky walk". Da war ein Netz in luftiger Höhe gespannt, und als Besucher konnte man in dieses Netz einsteigen und derart eine Art Weltraumspaziergang machen. Haben wir aber bleiben lassen...





Nach einer kleinen Verschnaufpause in der Kantine des K21 machten wir uns auf den Weg zum K20

Mutti-Brei? Will ich mir nicht wirklich vorstellen...


Das K20 mit seiner charakteristischen geschwungenen Fassade wurde 1986 eröffnet und bereits 2010 wieder erweitert. Wir haben nur die beiden Räume im Erdgeschoß besucht, die für Ai WeiWei zur Verfügung standen, darunter die "Klee-Halle", ein über 600m2 großer Saal ohne Säulen - wie gemacht für seine Sonnenblumenkerne.

Das K20
Das Werk "sunflower seeds" besteht aus 60 Millionen, von 1600 Kunsthandwerkern handgefertigten Sonnenblumenkernen aus Porzellan, von denen auch noch jeder handbemalt ist. Diese Unmenge an Sonnenblumenkernen bedecken den Großteil der Klee-Halle. Hier kommt wieder sein Spiel mit den Massen zum Vorschein. Auch im übertragenen Sinn, denn man kann dieses Werk auch als Anspielung an Mao interpretieren, der in der Propaganda sehr häufig als Sonne dargestellt wurde und der die Massen bewegte. Oder man denkt an die billige Massenproduktion, die durch die ungeheuer große Bevölkerung möglich ist. Oder, oder.... Die Menge ist jedenfalls schon beeindruckend.

Sollte eigentlich klar sein...

60 Millionen Stück

fein säuberlich aufgeschüttet

jeder Kern handgefertigt und handbemalt


Interessant sind auch die Wände in diesem Raum. Sie sind tapeziert mit den Schuldscheinen, die er für die Spenden ausgestellt hatte, die die Rückzahlung seiner "Steuerschuld" ermöglichten. Darüber sind dann 12 Bilder mit den Motiven der 12 chinesischen Tierkreiszeichen ausgestellt. Das Besondere daran: die Bilder sind nicht gemalt, sondern aus Legosteinen zusammengesetzt!

Die Schuldscheine

Tapete aus Schuldscheinen, davor die Legobilder

Die Ratte

Ein Klick auf das Bild macht es größer.
Da erkennt man dann deutlicher die aufgeklebten Legosteine.

Das Bild des Tigers.
Am rechten Rand erkennt man den Künstler ...

... wie er ein eigenes Foto zitiert

Das Foto rechts war im K21 zu sehen

Im zweiten Raum, der Grabbe-Halle, wird dann das vorhin erwähnte Erdbeben in Sichuan wieder Thema. Ai WeiWei sammelte tonnenweise Baustahl von den Ruinen und ließ sie in seinen Werkstätten wieder geradebiegen; das Werk heißt daher auch "straight". Diese Sammeltätigkeit und die Recherchen dazu brachten ihm dann den Gefängnisaufenthalt mit all seinen Folgen ein.

Der Baustahl ist in zahlreichen Holzkisten gelagert, die auch gleich ein wenig an Särge erinnern; denn das Erdbeben hat sehr viele Todeopfer gefordert. Er hat nicht nur das  Eisen gesammelt, sondern auch Namen der Opfer, die im ganzen Raum an den Wänden tapeziert sind. Auch in diesem Raum also wieder Massen: Massen an Stahl und vor allem Massen an Namen.

Die Namen der Opfer füllen ganze Wände

Die Kisten mit dem Baustahl


Auf einem winzigen Monitor darf er die Geschichte dieser Ausstellung erzählen.

Werkstätte, in der der Baustahl wieder gerade gebogen wurde.

Nach diesen beiden Ausstellungen war es erst einmal Zeit für eine Pause. Wir beschlossen, noch einmal eine Runde durch die Altstadt zu gehen, und in einem großen Bogen über die Tonhalle und das Ratinger Tor schön langsam wieder zum Hotel zurück zu kehren.

Nächstes Alt probieren, diesmal das Füchschen

In der Bolkerstraße ...

... befindet sich das Geburtshaus Heinrich Heines.
Er ist wohl der bekannteste Sohn dieser Stadt. Zu Lebzeiten musste er im Exil leben und hat sich ständig nach seiner Heimat zurück gesehnt.

Das NRW-Forum ist ein weiterer Platz für Kunst, speziell für Fotografie und Digitales

Die Tonhalle ist ein Konzerthaus mit einem großen zentralen Saal und mehreren kleineren

Das Ratinger Tor aus dem 19. Jahrhundert ist das letzte noch erhaltene Tor der Stadtbefestigung

Auf der Kö-Gourmet-Meile wurde inzwischen die Plattform ...

... für das sky dinner vorbereitet. Der Kran hebt die Plattform in 40m Höhe, die Gäste sitzen angeschnallt auf ihren Sitzen.
EUR 130,-- pro Person, restlos ausverkauft.

Es wird immer voller auf der Kö

Einer der kleineren Stände

Allein die beiden Ausstellungen waren die Reise wert. Düsseldorf ist aber von sich aus schon eine interessante und besuchenswerte Stadt!

Am Samstag hatten wir eine Stadtführung, bei der wir noch das eine oder andere Wissenswerte über die Stadt erfuhren; danach brachte uns ein Schiff über den Rhein nach Kaiserswerth, einem ganz reizenden kleinen Ort mit sehenswerten Gebäuden. Und am Sonntag wartete dann noch der Medienhafen auf uns.

Aber all das gibt's dann in einem weiteren Teil.

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