Donnerstag, 4. Juli 2019

Was vom Tage übrig blieb. Monatsrückblick Juni 2019

Schon wieder ein Monat um! Was hat sich im Juni so ereignet?

  • Nachfolger gesucht: Andrea Nahles und Theresa May treten von der politischen Bühne ab 
  • Nachwehen des Ibiza-Videos: Interview mit Hans Peter Haselsteiner, Expertenregierung in Österreich, BVT-Untersuchungsausschuss, wechselnde Mehrheiten im Parlament, Wahlkampf mit mehr als peinlichem Auftritt
  • Gedenktage/Jubiläen rund um das Massaker am Platz zum Tor des Himmlischen Friedens sowie zum D-Day
  • Wahlen in Kasachstan und Istanbul
  • Massendemonstrationen in Hongkong
  • Gefährliche Zuspitzung im Golf von Oman zwischen USA und Iran
  • EuGH kippt die deutsche PKW-Maut und die Justizreform in Polen
  • Walter Lübcke wird Mordopfer rechten Terrors
  • Unruhen auf dem Tempelberg in Jerusalem
  • EU und Mercosur handeln Freihandelszone aus
  • Einzelfall im Burgenland
  • Neues Ausbildungszentrum für Exorzisten in Polen
  • Facebook kündigt Internet-Währung Libra an
  • Klimawandel in einer einzigen Grafik dargestellt
  • Österreich vs. Nord-Mazedonien 4:1, hätte aber weit höher ausfallen können
  • Heuschreckenplage auf Sardinien
  • Erste Messe in Notre Dame nach dem Brand
  • Stromausfall in Argentinien
  • Blindgänger hinterlässt Krater nach unterirdischer Explosion
  • Rätsel um Dackelblick gelöst
  • last but not least: die Sagrada Familia bekommt eine Baugenehmigung


Der Monatsrückblick hat diesmal ein paar Tage Verspätung, aber wenigstens nur ein paar Tage und nicht 137 Jahre:

Mit 137 Jahren Verspätung bekommt die Sagrada Familia endlich eine Baugenehmigung!


Politik


So schwungvoll wie Andrea Nahles die SPD übernommen hatte, so schnell gab sie deren Führung wieder ab. Nach nur etwas mehr als einem Jahr ist sie zurückgetreten, weil sie den Rückhalt der Partei verlor. Das schlechte Abschneiden der SPD bei der EU-Wahl war dann der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die SPD ist seither immer noch auf der Suche nach einer neuen Führung, der Andrang an geeigneten Personen hält sich in Grenzen.


Nach dem Ibiza-Video, das die Regierung zu Fall brachte, wurde eine Übergangsregierung angelobt, die aber nicht einmal eine Woche im Amt blieb, weil sie durch einen Misstrauensantrag gestürzt wurde. Ende Mai wurde daher kurzfristig eine Expertenregierung zusammengestellt, die dann Anfang Juni angelobt wurde. Inzwischen steht auch schon der Termin für die Neuwahl fest: 29. September.


Nachdem die Legislaturperiode vorzeitig endet, enden damit auch sämtliche Untersuchungsausschüsse. Der Verfahrensrichter des BVT-Ausschusses fällt in seinem Abschlussbericht ein vernichtendes Urteil über die Zustände im Innenministerium unter Herbert Kickl. Die Rede ist da von Kompetenzüberschreitungen und Verfahrensbeeinflussung. Starker Tobak!


In diesem zitierten Video wird ja auch diskutiert, dass Bau-Aufträge in Zukunft nicht mehr "an den Haselsteiner" (Strabag) gehen sollen, sondern an die Firma der vermeintlichen Oligarchin. Der erwähnte Hans Peter Haselsteiner nimmt in einem lesenswerten Interview im Standard dazu Stellung:
Standard: Was haben Sie eigentlich gesagt, als Sie das Video erstmals sahen?
Haselsteiner: Solche Deppen.
Besser kann man es kaum ausdrücken.


Bei uns ist (bekanntlich) wieder Wahlkampf. Bei einer Riesenveranstaltung von evangelikalen Gruppen (awakening Austria) in der Wiener Stadthalle trat auch der 32-jährige Altkanzler Sebastian Kurz auf. Der Prediger auf der Bühne war ganz hingerissen von diesem guten, guten Mann und forderte die Anwesenden auf, für ihn zu beten. Es gibt Videos von dieser Szene: befremdlich, peinlich, gruselig - das sind so die Begriffe, die mir dazu einfallen. Aber es ist halt Wahlkampf.


Nachdem es derzeit eben keine feste Koalition gibt, bilden sich im Parlament je nach Thema ständig wechselnde Mehrheiten. Das macht es sogar möglich, dass das allgemeine Rauchverbot in Lokalen doch noch kommt! Eine positive Überraschung!


Vor 30 Jahren gab es in China große Unruhen, die dann Anfang Juni 1989 von der Führung brutal niedergeschlagen wurden. Dieses "Massaker vom Platz am Tor des himmlischen Friedens" forderte - je nach Standpunkt - hunderte bis tausende Todesopfer. Auf dem Platz selbst starb gar niemand, sondern in den Seitenstraßen, abseits von den vielen Kameras der internationalen Medien, fand das eigentliche Massaker statt. Diese Ereignisse von damals sind in China und in den internationalen Beziehungen Chinas mit der Welt immer noch eine klaffende Wunde.


Nach dem "Rücktritt" von Nursultan Nasarbajew standen in Kasachstan Präsidentenwahlen an. Es gab keine Überraschungen: der Wunschkandidat Kassim-Jomart Tokajew gewann 70% der Stimmen, gleich im ersten Wahlgang und das bei sechs Gegenkandidaten!


Wahlen gab es auch in Istanbul. Dort musste die Wahl wiederholt werden, weil das Ergebnis nicht den Geschmack des Präsidenten/Sultans traf. Der Schuss ging allerdings nach hinten los: der Kandidat der Opposition, Ekrem Imamoğlu, gewann so deutlich, dass sein Sieg nicht mehr anfechtbar war. Der Verlust des Bürgermeisters ist für den Präsidenten deshalb so schmerzhaft, weil in der Großregion Istanbul fast 20% der türkischen Bevölkerung leben, die mehr als ein Drittel der Wirtschaftskraft stellt!


Noch eine Nachfolge muss geregelt werden: Theresa May hat ihren Rücktritt angekündigt. Dass sie so lange Stand hielt, zeugt von einem bewundernswerten Durchhaltevermögen und von einer ungeheuer hohen Frustrationsschwelle! 10 Bewerber wollten sie als Parteivorsitzende beerben; nach mehreren Wahlgängen haben die Parlamentsabgeordneten noch zwei übrig gelassen: Jeremy Hunt und Boris Johnson. Der Sieger wird in einer Urabstimmung unter allen Mitgliedern der Partei ermittelt. Favorit scheint Boris Johnson zu sein. Ich verkneif mir jetzt jede weiteren Kommentare dazu.


Hongkong ist seit 22 Jahren wieder Teil Chinas und doch wiederum nicht. China spricht von "einem Staat, zwei Systeme". Noch genießen die Einwohner dort gewisse Vorrechte, die es auf dem Festland nicht gibt: halbwegs freie Meinungsäußerung etwa oder Demonstrationsrecht. Seit dort ein Gesetz beschlossen wurde, das eine Auslieferung von Hongkong-Bürgern auf das Festland vorsieht, sind (buchstäblich) Millionen Menschen auf der Straße, um dagegen zu demonstrieren. Das ging einige Wochen lang friedlich ab, nur Anfang Juli gab es dann eine gewaltsame Besetzung des lokalen Parlamentes. Das ist inzwischen zwar wieder geräumt, aber wie die chinesische Führung darauf reagieren wird, ist noch unklar.


Der Ton zwischen den USA und dem Iran wird immer rauer, auf beiden Seiten sind Zündler am Werk. Als im Golf von Oman zwei Tankschiffe angegriffen wurden, war für die USA schnell klar, dass der Iran dahinterstecken musste. Zum Beweis wurden Fotos und Videos bereit gestellt. Der Iran stellt natürlich alles in Abrede. Ein Außenstehender kann eigentlich keiner der beiden Seiten trauen. Der Iran exportiert Terrorismus in den gesamten Nahen Osten und für mich jedenfalls nicht glaubwürdig. Die USA aber leider auch nicht mehr, seit sie mit gefälschten Fotos den Irakkrieg vom Zaun gebrochen haben - und seit Donald Trump sowieso nicht. Ich glaube nicht, dass einer von den beiden wirklich Krieg will, aber ...


Der EuGH hat ein sensationelles Urteil gesprochen: die PKW-Maut, wie sie in Deutschland geplant war, widerspricht dem EU-Recht, weil sie Ausländer diskriminiert. Gedacht war ja, dass alle (auch deutsche) Autofahrer die Maut bezahlen müssen, die deutschen aber die Maut via Steuernachlass wieder zurück bekommen. Dieses Herzensanliegen der CSU ist also Geschichte. Es war aber ein recht teures Anliegen, denn es wurden im Vorfeld bereits 50 Mio EUR ausgegeben, Personal eingestellt, Berater bezahlt und und und. Auf den Verkehrsminister Andreas Scheuer kommt also einiges noch zu.


Noch einmal EuGH. Der hat im Vorjahr in einer einstweiligen Verfügung bestimmt, dass die Justizreform in Polen rechtswidrig ist, weil damit unliebsame und unbequeme Richter in Frühpension geschickt wurden. Diese einstweilige Verfügung ist jetzt auch in einem regulären Urteil bestätigt worden. Die betroffenen Richter hatten allerdings bereits nach dieser einstweiligen Verfügung ihre Arbeit wieder aufgenommen.


In Deutschland wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf der Terrasse seines Hauses erschossen. Nach ein paar Tagen konnte ein Verdächtiger gefasst werden, der zunächst auch ein Geständnis ablegte, dieses aber nach einem Wechsel des Verteidigers wieder widerrief. Stephan E. ist kein Unbekannter, sondern hatte etliche Vorstrafen und vor allem rege Kontakte zur rechten Szene. Immer mehr Details kommen zutage, eines beunruhigender als das andere. Offenbar gab und gibt es in Kassel und Umgebung ausgedehnte rechte Netzwerke. Hier werden wir in den nächsten Tagen und Wochen noch einige Überraschungen erleben!


Nach 20 Jahren Verhandlung war es soweit: die EU und die Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) haben sich auf eine gemeinsame Freihandelszone geeinigt - die größte bisher weltweit. Allerdings muss dieses Vertragswerk von allen Mitgliedsstaaten noch ratifiziert werden, und da scheint es sich ein wenig zu spießen. Vor allem die Landwirtschaft (und da vor allem in Frankreich) hat größte Bedenken, dass damit Europa mit billigem Rindfleisch überschwemmt werden und die eigene Rinderzucht schweren Schaden nehmen könnte. Es sind also noch ein paar Hürden zu nehmen!


Der Tempelberg in Jerusalem ist einer der am heißesten umkämpften religiösen Plätze der Welt (s. auch meinen Reisebericht über Israel). Juden sind dort oben jedenfalls nicht gerne gesehen. Anfang Juni kam es zu schweren Unruhen, als eine jüdische Gruppe den Tempelberg betrat: Steine und Stühle flogen, die Polizei musste eingreifen.

Einzelfälle


Ein "einfaches Parteimitglied" im Burgenland hat der FPÖ wieder einmal einen Einzelfall beschert. Ein Foto zeigte einen Mann mit markantem Oberlippenbart in der Straßenbahn. Der Begleittext dazu: "Die Rettung naht. Dauert nur etwas, er nimmt die Staßenbahn...". Das war dann selbst der FPÖ zu steil und sie schloss das Parteimitglied aus.

Gesellschaft


Noch ein Jubiläum gab es im Juni: die Landung der westlichen Aliierten in der Normandie (D-Day) jährte sich zum 75. Mal. Nach dieser Invasion gelang es, zunächst Frankreich zu befreien und in weiter Folge auch das Nazi-Regime in Deutschland zu beenden. Bei den Gedenkfeiern fehlte ein wichtiger Teilnehmer von damals, nämlich Russland. Donald Trump war dabei, es ging sogar ohne gröbere Peinlichkeiten ab.


Die Kathedrale in Barcelona (Sagrada Familia) ist seit mehr als hundert Jahren eine Baustelle ohne Genehmigung. Im Juni hat sie endlich eine bekommen, aber gleich verbunden mit der Auflage, im Jahr 2026 die Kirche fertiggestellt zu haben. Ein Jubiläum für die Zukunft sozusagen, denn 2026 ist der 100. Todestag ihres Architekten Antonio Gaudí.


Was die Welt ganz dringend braucht, sind Exorzisten. Klar, weiß jeder. Von denen dürfte es aber  offenbar zu wenige geben, daher gründet die Kirche in Polen ein Ausbildungszentrum. - Ja, die Meldung ist wirklich aus 2019!


Facebook kündigte eine eigene Währung (Libra) an, die auf der Technik der Blockchain (wie auch Bitcoin) basieren soll. Nicht nur bei mir, sondern auch bei den Notenbanken weltweit schrillten daher die Alarmglocken! Facebook und Geld: wenn das mal gutgeht!


Eine einfache Grafik veranschaulicht den Klimawandel, wie es noch keine davor gezeigt hat. In einem einzigen Diagramm wird die Erwärmung von 1900 bis 2015 weltweit dargestellt. Wirklich beeindruckendes Muster! Sehr überzeugend - für die meisten jedenfalls.

Chronik / Panorama


Die österreichische Fußballnationalmannschaft hat gegen den Fußballgiganten Nord-Mazedonien sensationell 4:1 gewonnen! Dabei hat das Team aber viele Chancen gar nicht verwertet, was den Kapitän Marko Arnautović besonders ärgerte. Im Interview nach dem Spiel meinte er, dass es auch "acht- oder neunstellig" ausgehen hätte können. Naja, 100 Millionen oder gar eine Milliarde Tore in 90 Minuten ist dann vielleicht doch etwas hoch gegriffen...


Auf Sardinien sind nach einem langen, kalten Mai Millionen Heuschrecken gleichzeitig aus der Erde geschlüpft. Die Fotos im Beitrag der ARD sind fast unglaublich: alles schwarz vor Heuschrecken. Biblische Ausmaße!


Wenige Wochen nach dem zerstörerischen Brand in Notre Dame wurde dort bereits wieder eine Messe gelesen. Allerdings waren nur 30 handverlesene Personen zugelassen und die mussten aus Sicherheitsgründen Bauhelme tragen.


In Argentinien und Uruguay gingen die Lichter aus: flächendeckend, einen ganzen Tag lang. Wir hatten bei uns 2003 einen Stromausfall mit 17 Stunden; war auch nicht ohne, aber bei fast 30 Stunden wird es dann sicherlich wirklich ungemütlich. Vor allem, wenn einem der Stromausfall am falschen Ort erwischt und man dort dann festsitzt; oder die Wasserversorgung zusammenbricht, weil die Pumpen ausfallen; oder keine Kommunikation mehr möglich ist; oder, oder, oder


In Hessen ist auf einem Feld ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg explodiert und hat einen gewaltigen Krater im Boden hinterlassen. Kaum auszudenken, wenn der in verbautem Gebiet hochgegangen wäre!


Wie: Echt jetzt? Kurioses, Skurriles


Das Rätsel des treuherzigen Dackelblickes ist gelöst: es sind spezielle Muskeln unter den Augenbrauen, die die Wölfe nicht haben, Hunde aber schon!




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