Montag, 3. Oktober 2016

"Torquato Tasso" im Burgtheater

Wir sind also doch noch dabei. Nach dem Desaster mit dem Eingebildeten Kranken waren wir ja kurz davor, das Abo zu kündigen. Das Programm für die neue Saison stimmte uns aber wieder etwas versöhnlicher.

Es geht also los mit Torquato Tasso, einem Klassiker der Deutschen Klassik, klassischer gehts kaum noch. Mir war schon irgendwie klar, dass das Stück schon etwas Staub angesetzt hatte und die Kritiken in den Zeitungen waren auch nicht sooo berauschend. Wir gingen also in diese Vorstellung schon mit dem Vorsatz, eventuell in der Pause die Flucht zu ergreifen.

Im Hintergrund der Dichter in seinem Hausarrest, im Vordergrund sein Gegenspieler, der Diplomat Antonio [Quelle: Burgtheater / Georg Soulek]



Das mit dem Staub hat sich einerseits schon als richtig erwiesen. Andererseits wurde für diese Inszenierung der Text stark gestrafft und sehr zügig gespielt, der Rhythmus des Blankverses kam kaum zur Geltung, sodass die Staubschicht nicht gar so dick erschien.
Das Bühnenbild war sehr sparsam und abstrakt, aber es hatte alles, was das Stück brauchte.

Der Staub macht sich aber bemerkbar, weil es uns nach mehr als 200 Jahren eher schwer fällt, die inhaltlichen Spannungen zu bemerken, die Goethe in diesem Stück behandelt. Wir sind inzwischen so an republikanische Verhältnisse gewöhnt, dass uns etwa die ungeheuren Standesunterschiede zwischen dem Dichter Torquato Tasso und Leonore, der Schwester des Fürsten, gar nicht mehr auffallen. Aber gerade darum geht es unter anderem in diesem Stück: eine Beziehung zwischen der adeligen Schwester und dem vom Fürsten angestellten Lakaien-Dichter ist schlicht unmöglich.

Der zentrale Gegensatz "brotloser Künstler zu bodenständigem Diplomaten" hat aber auch heute noch Gültigkeit. Ein Künstler, der von seiner Kunst auch noch leben kann, ist auch heute nicht selbstverständlich. Damals hielten sich die Fürsten Künstler, die von Zeit zu Zeit zu liefern hatten. Mozart in Salzburg, Haydn in Eisenstadt oder Bach oder Händel sind nur einige Beispiele der Vergangenheit. Genau mit diesem Künstlersein und dem nichtadeligen Stand bringt Antonio Torquato Tasso derart in Rage, dass dieser den Degen zieht - im Palast des Fürsten und gegen einen Diplomaten aus besserem Hause! Unerhört! Der Dichter kann von Glück reden, dass er dafür nur mit Hausarrest bestraft wird. Eine derartige Abhängigkeit eines Künstlers von einem Fürsten gibt es heute zum Glück nicht mehr. Es steht jedem frei, die Künstlerlaufbahn einzuschlagen oder auch nicht; und jeder kann heute seinen Arbeitgeber frei wählen - im Gegensatz zu damals. Torquato Tasso muss bitten und betteln, damit ihn der Fürst nach Rom ziehen lässt.

Die Bodenständigkeit des Diplomaten wird in der Auftritts-Szene von Antonio gut dargestellt. Mit ausladenden und stark übertriebenen Gesten gibt Ole Lagerpusch zu verstehen, dass er durch sämtliche Rhetorik- und Verkaufsseminare gegangen ist, die angeboten werden. Er gibt einen Politiker und Gebrauchtwagenverkäufer, der mit allen Wassern gewaschen ist. Der Inszenierung hoch anzurechnen ist, dass diese übertriebene Gestik nur in der Anfangsszene verwendet, im weiteren Verlauf aber darauf verzichtet wird.

Schauspielerisch war der Abend wieder auf hohem Niveau. Dass manchmal so gekreischt wird, sodass davon kaum was zu verstehen ist, ist ja eher dem Regisseur als den Schauspielern anzulasten. Gleiches gilt für die Musik, die in manchen Szenen einfach zu laut ist und damit die Sprechenden übertönt.

Insgesamt daher ein passabler Theaterabend. Nicht gerade der Burner, aber ok. Die Saison begann also etwas mau und holprig, aber immerhin nicht mit einer Katastrophe wie beim Eingebildeten Kranken - siehe oben.

Höflicher Schlussapplaus. Wir blieben also bis zum Ende.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen