Mittwoch, 5. Oktober 2016

Standortbestimmung im Notfall

Dieses Thema beschäftigt mich bereits seit einiger Zeit: Wie kann ich im Notfall der Einsatzzentrale meinen Standort bekannt geben? Im Ortsgebiet ist das keine Kunst, da kann ich immer eine Adresse angeben. Aber was mache ich im freien Gelände, im Wald, auf dem Berg? Die Angabe "Ich liege mit gebrochenem Bein beim vierten Baum nach der fünften Linkskurve auf der Landesstraße 4711 in Fahrtrichtung Krähwinkel" wird da nicht viel weiterhelfen!

"Ähh - Hast du vielleicht eine Ahnung, wo wir sind?" [Quelle: pixabay]


Ich hab dann diese Fragen eine Zeit lang wieder beiseite gelegt, bis sie mir die Meldung vom letzten Wochenende "Wanderer mit Hilfe einer Notfalls-App gerettet" wieder in Erinnerung rief.

In Zeiten von allgegenwärtigen Smartphones gibt es also eine Lösung. Sogar mehrere.


[Update: Von diesem Artikel gibt es eine aktualisierte Fassung (2019-06-21)]




Eine relativ einfache Lösung ist die Ortung mittels Handy. Die Notrufzentralen dürfen seit einigen Jahren rasch und unbürokratisch Handys orten. Früher mussten sie eine begründete Anfrage an den Provider stellen, der hat dann die Ortung durchgeführt und den Standort des Handys an den Rettungsdienst zurückgemeldet. Da vergingen locker eine halbe Stunde und mehr. Heute dürfen das die Notrufdienste selbst; es wird allerdings immer noch genau protokolliert, wer diese Ortung und warum veranlasst hat.

Möglich ist diese Ortung dadurch, dass jedes Handy bei einem konkreten Handymast / Sendestation angemeldet ist. Jede solche Sendestation überdeckt ein bestimmtes Gebiet - die sogenannte  Mobilfunkzelle. Daher heißen die Mobiltelefone im englischen Sprachgebrauch ja auch nicht "handy" sondern "cell phones", weil sie sich von Funkzelle zu Funkzelle bewegen. Da für jede Sendestation der Ort bekannt ist, ist dadurch auch das Handy ungefähr zu orten.

Solche Funkzellen sind allerdings unterschiedlich groß; im verbauten Gebiet sind sie kleiner, im Freien können sie schon ein  paar Kilometer Durchmesser haben. Eine Ortung per Funkzelle ist also immer mit einer mehr oder weniger großen Ungenauigkeit behaftet. Der große Vorteil ist aber, dass man die Ortung der Einsatzzentrale überlassen kann und man als Unfallopfer oder Ersthelfer sich nicht selbst um die Standortbestimmung kümmern muss. Außerdem funktioniert diese Ortung mit jedem x-beliebigen Einfachsthandy, es muss nicht unbedingt ein Smartphone sein.

Zweite Möglichkeit: Standortbestimmung mittels GPS. Und da wird's schon schwieriger. Denn wo und wie kann ich als Anrufer die Koordinaten (Längen- und Breitengrad) meines Standortes ablesen? Und wenn ich sie tatsächlich ermittelt habe: wie kommen sie zur Einsatzzentrale?

Google Maps eignet sich nur sehr eingeschränkt dazu, die Koordinaten zu ermitteln. Zwar wird der aktuelle Standort auf einer Karte dargestellt; ein Lang-Klick auf diesen blauen Punkt ermittelt eine Adresse, was mir im verbauten Gebiet hilft, aber nicht im Freien (s. oben). Koordinaten sehe ich keine.

Es gibt zahlreiche Apps, die die Koordinaten tatsächlich anzeigen: Geocaching-Apps, Sportler-Apps, Tracker, GPS-Satelliten-Apps und viele mehr.

Es gibt aber auch zahlreiche ausgesprochene Notfall-Apps, die die Koordinaten anzeigen und außerdem noch die Möglichkeit bieten, Einsatzzentralen direkt anzurufen - denn gerade in Stresssituationen hat man diese Telefonnummern garantiert vergessen! War das jetzt 112, 122, 133, oder doch 144?

Was aber alle diese Apps gemeinsam haben: die Koordinaten kommen nicht automatisiert zur Rettungsstelle, sondern der Anrufer muss sie der Einsatzzentrale vorlesen. Besser als gar nix, aber richtig rund ist diese Lösung noch nicht, das wird sich in den nächsten Jahren hoffentlich noch verbessern.

Die App, die in dem oben angesprochenen Artikel erwähnt ist, gilt übrigens als eine der besten auf dem Markt. Sie hat allerdings den großen Nachteil, dass sie speziell auf Tirol und Bergverhältnisse zugeschnitten ist.

Ich hab mich aber inzwischen auf die Suche gemacht und einige Apps ausprobiert. Die folgenden beiden haben mir am besten gefallen. Gemeinsam ist ihnen,

  • dass sie den Europa-Notruf 112 unterstützen und daher nicht auf Tirol oder Österreich beschränkt sind
  • dass man persönliche Daten wie Blutgruppe, Medikationen und Allergien angeben kann. Diese Informationen stehen allerdings nur zur Verfügung, wenn das Handy nicht gesperrt ist. Ein fremder Ersthelfer kommt an diese Daten also üblicherweise nicht heran, weil er den Entsperr-Code nicht kennt.
  • dass GPS nicht unbedingt eingeschaltet sein muss; sie begnügen sich auch mit dem "groben" Standort (=Funkzelle)
  • dass sie einen Ersthelfer-Assistenten enthalten, der im Fall des Falles nützliche Tipps zum weiteren Vorgehen gibt.
  • dass man Kontakte hinterlegen kann, die im Notfall zu verständigen sind.


Platz 1: Notfall-Hilfe

Es gibt sie sowohl für iPhone als auch für android.

Pluspunkte:

  • Man kann mehrere eigene Notfallkontakte bekannt geben, einer davon ist als "Standard-Notfall-Kontakt" gekennzeichnet. Im Notfall kann man etwa seinen Standort per SMS oder email an seinen Standard-Kontakt weitergeben ("bin hier liegen geblieben, hol mich bitte ab").
  • Auf einer Karte kann angezeigt werden, wo die nächste Apotheke, der nächste Arzt, das nächste Krankenhaus etc. zu finden sind; selbstverständlich auch mit entsprechenden Adressen, zu denen man sich auch noch hin-navigieren lassen kann.
  • In der kostenpflichtigen Pro-Version kann man noch seine Allergien genauer spezifizieren und es ist ein Assistent enthalten, der einen beim Sperren von Karten (Bankomat, Kreditkarte) unterstützt. Die Pro-Version hab ich allerdings nicht getestet.
Minuspunkte:
  • die oben angesprochenen persönlichen Daten sind eben nur bei ensperrtem Handy zugänglich. Auf dem Sperrbildschirm sind sie nicht verfügbar.
Dieses Manko hab ich selbst ein wenig entschärt, indem ich Bordmittel von android nutze. Im Bereich "Einstellungen / Sicherheit / Sperrbildschirmnachricht" kann man einen Text hinterlegen, der dann auf dem Sperrbildschirm erscheint. In meinem Fall steht da also "in case of emergency call 0043-699-xxx OR 0043-680-xxx".


Platz 2: Drive&Help

Diese App wurde vom Kuratorium für Verkehrssicherheit gemeinsam mit dem Österreichischen Roten Kreuz entwickelt. Sie ist für android verfügbar, für iPhone hab ich keinen Eintrag gefunden, was aber auch an meiner Unerfahrenheit mit dem apple-Biotop liegen könnte.

Pluspunkte:

  • Man kann ein Hintergrundbild erstellen, auf dem die persönlichen Daten wie Blutgruppe und Allergien enthalten sind. Dieses Hintergrundbild erscheint dann auch auf dem Sperrbildschirm. Allerdings ist das Bild nicht frei wählbar und die Notfall-Texte werden teilweise von  anderen Elementen auf dem Sperrbildschirm überdeckt.
  • Es wird nicht nur der Euronotruf 112 angeboten, sondern auch die österreichischen Notfallnummern für Polizei, Rettung, Feuerwehr, Autofahrerclubs und viele weitere.
Minuspunkte:
  • Es ist nur ein Notfall-Kontakt auswählbar
  • Blutgruppe und Allergien sind nur als Text angebbar

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass zahlreiche Firmen spezielle Notfall-Apps anbieten, vor allem Versicherungen und Autofahrerclubs. Sie sind aber dann speziell an diese Firmen gebunden und rufen nicht die allgemeinen Notruf-Zentralen an.

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What Three Words

Das Problem, dass die Koordinaten der Rettungsstelle mündlich übermittelt werden müssen, hab ich oben bereits angesprochen. In der Hektik kann es da durchaus zu Fehlern (Zahlendreher, Legasteniker etc.) kommen.

Einen ganz anderen Weg, wie man Koordinaten angeben kann, ist das System "what three words" gegangen. Da hat eine Firma die Oberfläche des gesamten Globus in kleine Quadrate mit 3x3m (!) Kantenlänge unterteilt. Jedes dieser Quadrate wird mit einer Dreierkomination von natürlichen Wörtern identifiziert; typische Beispiele wären "blasser.ovale.manchen" oder "bekleidet.getrunken.lenkte" oder "baustile.bildung.andern". Diese Kombinationen lesen sich natürlich viel leichter und sind nicht so fehleranfällig wie lange Zahlenreihen von Längen- und Breitengraden. Weitere Details bitte der oben verlinkten Seite von what3words entnehmen!

Auch dafür gibt es eine App; für android hab ich sie installiert, für das iPhone ist sie hier zu finden.

Die Mongolei ist das erste Land, das sein System von Postadressen komplett auf what3words umgestellt hat. Dort gibt es das Problem, dass große Teile der Bevölkerung nach wie vor als Nomaden durchs riesige Land ziehen. In den Weiten der Steppe gibt es natürlich keine Adresse, aber mit what3words können die Bewohner dennoch auf vernünftige Weise ihren Standort bekannt geben! Briefe und Pakete finden so zuverlässig zu ihren Empfängern!

Auch geocaching funktioniert angeblich bereits damit. Als weitere Anwendung würde sich eben die Standortbekanntgabe bei Notrufen anbieten. Wer weiß, vielleicht spricht sich dieses System ja auch dort herum. 

Ich selbst halte what3words jedenfalls für eine geniale Idee, die sich mehr Bekanntheit auf alle Fälle verdient hätte.


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Auf jeden Fall würde ich empfehlen, eine dieser Notfall-Apps zu installieren - und zwar rechtzeitig, am besten jetzt. Wenn der Notfall bereits eingetreten ist, ist es mit Sicherheit zu spät!

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