Montag, 30. April 2012

"Robinson Crusoe" im Wiener Burgtheater

Gestern Abend sahen wir im Burgtheater die Vorstellung von "Robinson Crusoe". Sie war in mehrfacher Hinsicht wirklich interessant und sehenswert:



  • Das Burgtheater war quasi umgedreht: die Zuschauer saßen auf einer auf der Bühne installierten Tribüne, das Schauspiel selbst hat sich aber im Zuschauerraum abgespielt.
  • Das Inventar des Zuschauerraumes war auch gleich die Vorratskammer für diverse Requisiten: der Vorhang einer Loge wurde zum Lendenschurz, das Gestänge der Steplätze wurde zusammen mit einer während der Vorstellung ausgehängten Saaltür zu einem Aussichtsposten, Besucherstühle wurden aus der Verankerung gerissen und in einer Loge zu einer Festung verbaut, ein zwischen den Stuhlblöcken verlegter Teppich wurde zur Signalflagge, sogar die Rippen und Verzierungen der Brüstung wurden als Kalender (jede Rippe ein Tag) interpretiert, und und und.
  • die beiden Darsteller (vor allem Joachim Meyerhoff als Robinson) hatten zwei Stunden ohne Pause Text.
Die Aufführung gliederte sich im Wesentlichen in vier Teile:
  • In Teil 1 (30 Minuten) erzählt Robinson seinen Werdegang von einem behüteten Kaufmannssohn über seine Versklavung nach einem Piratenüberfall, seine Flucht nach Brasilien, sein dortiger Erfolg als Zuckerrohrpflanzer bis hin zu einem - letzlich verhinderten - Sklavenhändler. Denn während der Fahrt zu den afrikanischen Sklavenmärkten kommt es zum berühmten Schiffbruch und anschließenden Anschwemmen auf die einsame Insel. Seine Erzählung wird nur ab und zu von kleinen Einwürfen seines Vaters unterbrochen. Dieser erste Teil hat fast den Charakter eines Hörbuches.
  • Teil 2 besteht aus einer fast 20 Minuten dauernden, sehr beeindruckenden Pantomime: Robinson findet sich als Schiffbrüchiger auf der Insel wieder und versucht, sich einzuleben. Dabei muss allerhand Burgtheaterinventar als Requist herhalten (s. oben). Gesprochen wird nichts - mit wem auch.
  • Teil 3 zeigt die aufkommende Langeweile und was man dagegen unternehmen kann; etwa eine Ansprache als selbsternannter Gouverneur seiner Insel Esperanza an eine nicht vorhandene Bevölkerung zu richten. Dabei kommt heraus, dass man ständig sprechen muss (auch mit sich selbst, jemand anderer ist ja nicht da), sonst geht das Sprachvermögen verloren. Dementsprechend holprig ist die Rede an das Volk zu Beginn auch. Dieser Teil endet mit der Ankunft von Freitag.
  • Teil 4 zeigt das weitere Leben mit Freitag, den Robinson wie einen Sklaven betrachtet und auch so behandelt; er muss beim Betrachten von Sonnenuntergängen weiter hinten sitzen, er muss in der Schule den Schüler spielen etc. Freitag emanzipiert sich aber mit der Zeit - visuell dargestellt, indem sich Freitag die schwarze Gesichtsfarbe abschminkt. Und auch die homoerotischen Schwingungen zwischen den beiden Einsamen kommen vor, wenn sich etwa Freitag seinem Herrn in einem geblümten weißen Ballkleid präsentiert. Letzlich werden die beiden aber von einem Schiff entdeckt und sie können die Insel verlassen; Robinson hat 28 Jahre seines Lebens dort verbracht.
Die Aufführung lehnt sich sehr genau an das Buch an. Für die beiden Figuren werden zwei zentrale Schauspieler des Esembles  eingesetzt, die die Fähigkeit haben, ein derartiges Kammerspiel auch zu tragen: Joachim Meyerhoff als Robinson und Ignaz Kirchner in einer Doppelrolle als Robinsons Vater sowie als Freitag.

Insgesamt eine etwas sehr andere Vorstellung / Inszenierung - einerseits; andererseits aber auch sehr interessant und sehr gelungen. Ein wirklich toller Theaterabend!

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