Dienstag, 25. Juli 2023

Festspiele Reichenau 2023

Für uns war es unsere zweite Saison in Reichenau, Gundi und Fritz waren schon in früheren Jahren dabei.

In einem Block von drei Tagen gaben wir vier uns also drei Theatervorstellungen; nämlich:

Wobei die Theatererlebnisse durchaus unterschiedlich waren. Aber alles der Reihe nach.






"Einen Jux will er sich machen" von Johann Nestroy

Der Handelsangestellte Weinberl hat's richtig gut – zumindest für die Verhältnisse Anfang des 19. Jhdts. Er hat sich verdient gemacht, sein Chef vertraut ihm und möchte ihn sogar zu seinem Compagnon machen! Dass die Angestellten und Lehrlinge damals eher Sklaven waren, wird im ersten Akt so nebenbei angedeutet.

In erster Linie ist das Stück aber doch Komödie. Der Chef ist auf Freiersfüßen und reist in die Stadt. Diese Gelegenheit wollen Weinberl und der Lehrling Christopherl dazu nutzen, um einmal so richtig auf den Putz zu hauen und einmal so richtig die Sau raus zu lassen. Das gelingt ihnen wirklich gut, die Verwicklungen, die die beiden verursachen, sind nicht ohne. Aber wie es zu einem ordentlichen Happy End gehört, löst sich alles in Wohlgefallen auf und jeder Topf findet seinen Deckel.

Die Vorstellung war solide und einem Nestroy durchaus angemessen. Es gab keine besonderen Höhepunkte allerdings auch keine Tiefen. Solide und gut eben.

Doch, die beiden Musiker, die die Nestroy-üblichen Gstanzln begleiteten, waren wirklich super. Sie wurden auch mit einem Extra-Applaus belohnt!


"Die Präsidentinnen" von Werner Schwab

Wir kannten Werner Schwab zwar vom Namen her, allerdings kein einziges Stück von ihm. Umso mehr wollte ich diese Gelegenheit unbedingt wahrnehmen. Die Beschreibungen des Dramas blieben auch eher vage, sodass es für uns ein wenig den Charakter einer Überraschung hatte.

Wie sich herausstellte: Eine äußerst positive!

Drei Pensionistinnen leben in äußerst ärmlichen Verhältnissen und treffen einander in Ernas Küche. Erna war Putzfrau und fand vor mehr als einem Jahr auf dem Müll eine Pelzmütze, die sie in stundenlanger Arbeit wieder sauber bekam. Anständig wie sie nun einmal ist, brachte sie das gute Stück zur Polizei, die sie ihr nach einem Jahr überließ, nachdem sich keine Besitzerin meldete, der sie abging. Voller Stolz trägt Erna diese Pelzhaube das ganze Stück hindurch.

Wie wir im Laufe des Stücks erfahren, hat Erna in dem polnischen Fleischhauer namens Karl Wojtyla ihr spätes Glück gefunden. Ihr Sohn Hermann hingegen bringt ihr weniger Glück. Statt Erna mit Enkelkindern zu beglücken, gibt er sich lieber dem Alkohol hin, geht auf Reisen und schickt seiner Mutter Postkarten.

Gretls Tochter Hannelore lebt in Australien. Gretl hat sich als Kindersatz einen Hund (Lydia) zugelegt. Sie ist einem erotischen Abenteuer niemals abgeneigt, lebt aber nicht in einer dauerhaften Verbindung – mehr so à la carte.

Mariedl wiederum war Klofrau aus Berufung – und ist es immer noch. Verstopfungen im Klo mit Handschuhen beseitigen? Unter ihrer Berufswürde! Mariedl macht sowas mit bloßen Händen! Immer wieder bringt sie das Gespräch darauf und möchte die beiden anderen ebenfalls von diesem tollen Beruf überzeugen!

Im letzten Drittel des Stückes fantasieren sie sich in ein "ideales Dorffest" hinein. Jede schildert aus ihrer Sicht, wie so ein Fest aussehen würde.

Erna tanzt sich dabei mit ihrem Wojtyla ins Glück, Gretl flirtet mit einem der Musikanten und trifft sich mit ihm in einer dunklen Ecke auf ein weiteres erotisches Abenteuer.

Aber den Vogel schießt Mariedl ab! In ihrem idealen Dorffest sind plötzlich sämtliche Aborte verstopft! Alle rufen nach der Mariedl, um diesen Missstand abzustellen. Der Herr Pfarrer wedelt wie bei einer teuflischen Versuchung mit Gummihandschuhen vor Mariedls Gesicht herum, die sie selbstverständlich ablehnt. Und wie sich herausstellt, hat der Herr Pfarrer höchstpersönlich die Verstopfungen arrangiert, damit die Mariedl zu ihren Erfolgserlebnissen kommt. Eine Konservendose mit Gulasch, eine Flasche Bier und eine Flasche Parfüm spielen dabei wichtige Rollen.

Als Mariedl aber noch Ernas Sohn und Gretls Tochter sowie Gretls Musikanten und Ernas Wojtyla in die Schilderung einbezieht, eskaliert die Situation. Sie wird dabei so zornig und brutal, dass die beiden anderen beschließen, die Mariedl zu beseitigen.

Ich persönlich bin jetzt nicht so der Superfan von Maria Happel. Aber als Erna ist sie wirklich ideal besetzt. Selten hab ich sie so überzeugend und gut gesehen! Sie musste kurzfristig als Erna einspringen  und war daher auf das Textbuch auf dem Tisch als Gedächtnisstütze angewiesen; wurde vom Publikum mit Verständnis anstandslos akzeptiert und tat ihrer tollen Leistung keinerlei Abbruch!

Auch Gretl und Mariedl sind super besetzt und bringen eine wirklich überzeugende Darstellung! Beide Damen gehen in ihren Rollen voll auf und reißen einen mit.

Das Stück ist tragisch und doch unterhaltsam, manchmal an der Ekelgrenze, und war insgesamt die positive Überraschung in diesen drei Tagen!

Ich war so angetan, dass ich zu Werner Schwab und den Präsidentinnen noch ein wenig recherchiert habe. Ich kann also die zentrale Erzählung Mariedls von ihrem Auftritt auf dem Dorffest als Video anbieten. Aber Achtung: Nur für starke Mägen geeignet!



"Die Kapuzinergruft" nach Joseph Roth

Einen Roman zu dramatisieren und für Bühne oder Film aufzubereiten, ist immer schwierig. Auf der Bühne wahrscheinlich noch einmal mehr, weil hier nicht einfach Szenen wochenlang außen gedreht werden können. Oder so wie hier in Reichenau, wo es im neuen Saal nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten eines Bühnenbildwechsels gibt. So bestand das Bühnenbild lediglich aus einem sehr langen Tisch mit zahlreichen Sesseln rundherum. Die Sessel wurden gelegentlich auf den Tisch gestellt, dann wiederum herunter, dann wieder rauf, und so weiter. Eher sinnbefreit.

Jedenfalls war die erste Hälfte vor der Pause sehr enttäuschend. Personen und Zusammenhänge wurde nicht mittels einzelner Szenen sondern mehr als Erzählung vorgestellt. Uns kam es so vor, als würde uns ein Hörbuch vorgetragen, es gab kaum szenische Elemente; vom Auf- und Abstellen der Sessel einmal abgesehen.

In der Pause kam sogar kurz die Diskussion auf, ob wir noch einmal reingehen sollten oder nicht.

Gut, dass wir uns für die Fortsetzung entschieden hatten, denn die zweite Hälfte war dann wirklich so, wie man sich eine Dramatisierung vorstellt. Die Personen gut charakterisiert, das Drama der Zwischenkriegszeit und des Aufkommens des Nationalsozialismus nachvollziehbar dargestellt, den für viele schmerzlichen Verlust der Monarchie konnte man gut nachfühlen. Ebenso Trottas Sehnsucht nach dem Kaiser, der in der Kapuzinergruft schläft. Sehr berührend fand ich den Abschied des jüdischen Anwaltes von Trotta; er geht ins Exil, solange das noch möglich ist. Er möchte in einem Land leben, in dem er einfach wieder Anwalt sein kann und in dem nicht sein Judentum der wichtigste Aspekt seiner Person ist.

Dargestellt von einem rundum guten Ensemble. Besonders beeindruckt haben mich AntoN Widauer als Trotta, Elisa Seydel als Jolanth und Wolfgang Hübsch als Anwalt.

Die zweite Hälfte hat uns also mit dem Stück wieder versöhnt.




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