Freitag, 2. April 2021

Olga Tokarczuk: Ur und andere Zeiten ★★★☆☆

 Olga Tokarczuk: Ur und andere Zeiten  ★★★☆☆


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Olga Tokarczuk wurde 2019 (für 2018, dem Jahr, in dem der Preis nicht vergeben wurde) mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Mir war diese Autorin bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Aber so eine Preisverleihung ist immer ein guter Anlass, mal jemand Neuen kennenzulernen.

Doch das Kennenlernen war schwieriger als gedacht.


Wenn einem eine Autorin so gar nix sagt: Mit welchem Buch soll man anfangen? Die Recherchen im Internet kreisten um die drei immer gleichen Titel: Ur, Unrast sowie Taghaus, Nachthaus.

Ich fing also mit "Unrast" an. Nach den ersten paar Seiten wurde ich schon nervös. Aber ein Buch bekommt bei mir immer eine Chance: Bevor ich nicht ein Viertel oder ein Drittel gelesen habe, lege ich es nicht weg – ich könnte ja was versäumen. Die Nervosität steigerte sich langsam aber sicher in Ärger. Denn nach einem Drittel war klar: Das wir nicht mehr anders. Seitenweise irgendwelche Gschichterln aus dem Zettelkasten, ohne Zusammenhang, ohne Relevanz, keines länger als eine Viertelseite (ja so kann man auch Seitenzahlen generieren). Solch unverfrorene Resteverwertung ist mir, glaube ich, noch nicht untergekommen. Das zu veröffentlichen und dafür auch noch Geld zu verlangen, nehme ich der Autorin als auch dem Verlag wirklich übel! Chuzpe sondergleichen!

Eine Literaturnobelpreisträgerin muss mehr drauf haben, also zweiter Versuch, diesmal mit "Taghaus, Nachthaus". Im Klappentext werden Geschichten und Geschichte aus dem schlesischen Riesengebirge angekündigt. Klingt interessant! Aber auch hier wieder große Enttäuschung! Diesmal hab ich sogar bis zur Hälfte durchgehalten, denn eine Episode war wirklich interessant und auch gut erzählt. Aber mein Fazit von damals, das ich in meiner Buchliste eingetragen hab:
In den ersten 50% kommt eine einzige (aber gut erzählte) Episode zur Geschichte Schlesiens. Davor sinnlose Aneinanderreihung von Träumen und Sonstigem. Seitenweise Geschichte der Kümmernis (Wilgefortis)

Wieder sagte ich mir: Das kann doch nicht alles gewesen sein! Also gebe ich der Autorin noch eine dritte Chance. Diesmal mit "Ur und anderen Zeiten", ihrem angeblich besten Buch.

Erzählt wird die Geschichte des fiktiven polnischen Dorfes Ur und einiger seiner Bewohner. Es beginnt mitten im Ersten Weltkrieg, als es Polen genau genommen gar nicht gab. Ich hätte mir also von einer polnischen Autorin erwartet, dass das Wiedererstehen Polens nach120 Jahren Nichtexistenz einen gebührenden Stellenwert im Buch finden würde. Aber Fehlanzeige, das wird, glaube ich, nicht einmal erwähnt. Auf den nächsten 300 Seiten wird die Zeit von 1918 bis in die 1960er/1970er-Jahre erzählt. Bei so vielen Personen und so viel Zeit bleibt da nicht allzu viel übrig für jeden Einzelnen. Und so sind die handelnden Person auch nur sehr grob und holzschnittartig ausgearbeitet. Zugegeben, es ist ein fiktives Dorf, das noch dazu von Engeln bewacht wird, aber mir wird in diesem Buch zu viel geträumt. Die Gefahr ist groß, dass sich dabei pseudophilosophisches und esoterisches Geschwurbel einschleichen – und so ist es leider auch.
Tiere träumen unausgesetzt und vergeblich. Das Erwachen aus dem Traum bedeutet für sie den Tod.
Ach ja? Sagt wer? Also, ich kenne kein so ein Beispiel. Die Tiere würden innerhalb kürzester Zeit aussterben. Einmal einschlafen – und aus. Solche Aussagen stehen einfach da, unerklärt und unbegründet. Klingt aber sehr philosophisch und poetisch.

Auf der anderen Seite gelingen ihr mit ganz knappen Sätzen Schilderungen, die wirklich beeindrucken und unter die Haut gehen. Etwa die Stelle, als Ur zwischen die Fronten der abziehenden Wehrmacht und der vorrückenden Roten Armee gerät:
Der schüttere Kiefernwald hatte großen Schaden genommen, und Rauch stieg zwischen den Bäumen auf. In der Erde gähnten riesige Trichter. Gestern musste der Weltuntergang darüber hinweggegangen sein. In dem hohen Gras lagen Hunderte erstarrender menschlicher Körper. Das Blut dampfte rot in den grauen Himmel, bis er sich im Osten purpurn färbte.

Solche gelungene Stellen sind leider in der Minderzahl. Aber, naja. Ich hab die Lektüre immerhin nicht abgebrochen. 

Diesmal also ausnahmsweise ein Buch, das ich nicht wirklich weiterempfehlen würde. Es gibt definitiv Besseres. Und ja, mit Olga Tokarczuk bin ich fertig.




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