Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand
★★★★☆
Cover: Kiepenheuer & Witsch |
Ein Krimi schafft es selten in diese Rubrik. Wobei: Ist das überhaupt ein Krimi? Ist es eine Doku? Wohl beides, wobei es dem Autor Wolfgang Schorlau wahrscheinlich eher um Zweiteres geht.
Wie schon in seinen früheren Büchern mit dem Privatdetektiv Georg Dengler nimmt er sich auch hier ein Geschehnis der Vergangenheit her, bei dem nicht alle Fragen restlos geklärt wurden. Diese Lücken füllt er dann entweder mit Ergebnissen eigener Nachforschungen oder – wenn das nicht möglich ist – mit Fiktion. Getreu seinem Motto: "Finden und erfinden".
In diesem Buch nimmt er sich den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) vor. Nach etlichen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und einem jahrelangen Prozess sind immer noch Fragen offen. Ja, es gibt ein Urteil für Beate Zschäpe; Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sind tot. Aber sonst klafft dieser Fall mit seinen zahlreichen Fragen wie eine offene Wunde in der jüngsten deutschen Geschichte.
Wolfgang Schorlau behandelt viele dieser Fragen in diesem Buch, besonders konzentriert er sich aber auf diese eine:
Stimmt die offizielle Version, dass nach einem Banküberfall die beiden Uwes in einem Wohnmobil Selbstmord begingen und vorher noch dieses Wohnmobil in Brand steckten?
Ich greife vor. Meiner Meinung nach gelingt ihm sehr überzeugend, diese Frage verneinen zu können. Dennoch bleibt auch nach zahlreichen Untersuchungen die offizielle Darstellung dabei, dass es genau so geschehen ist, wie oben beschrieben.
Ich neige nicht zu Verschwörungstheorien, aber dass es hier noch Aufklärungsbedarf gibt, steht für mich fest.
Wolfgang Schorlau hat sich wirklich viel Mühe gemacht und Material zusammengetragen, soweit es eben öffentlich zugänglich ist. 2015, als die erste Auflage dieses Buches erschien, konnte er also bereits Argumente vorbringen, die durch Dokumente gut fundiert waren. Die wichtigsten in dieser Fragen sind:
- Die Totenflecken können nicht mit der Auffindungslage der beiden Leichen im Wohnmobil in Einklang gebracht werden. Mit anderen Worten: So, wie die beiden aufgefunden wurden, hätten die Totenflecken an anderen Stellen der Körper auftreten müssen.
- Die beiden kamen durch Schüsse aus einer Pumpgun in den Kopf ums Leben, bei dem der Großteil der Hirnmasse herausgeschleudert wird. Im ganzen Wohnmobil hätte sich also überall diese Masse finden müssen. War aber nicht der Fall, diesbezüglich war der Innenraum vollkommen sauber.
- Die Tatwaffe für diesen erweiterten Selbstmord (Uwe Mundlos tötet Uwe Böhnhardt und dann sich selbst) – also besagte Pumpgun – ist vollkommen frei von Fingerabdrücken.
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
Links
- Wolfgang Schorlau erklärt in einigen Videos die immer wiederkehrenden Figuren seiner Dengler-Reihe
- Der Wiki-Artikel zum NSU mit seinen zahlreichen Verlinkungen zu weiteren Artikeln sowie zu einer Unmenge weiterführender Literatur und Quellen
- Die Seite NSU-Watch, die sich ganz diesem Komplex widmet
- Das ZDF hat dieses Buch bereits verfilmt, das Video ist aber leider nicht mehr abrufbar
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