Freitag, 13. Dezember 2019

Alexander von Humboldt: Die Russland-Expedition ★★★★☆

Alexander von Humboldt: Die Russland-Expedition 

Herausgegeben von Oliver Lubrich


Cover: C.H.Beck

1829 erfüllt sich für Alexander von Humboldt ein Traum. 30 Jahre zuvor war er fünf Jahre lang auf Expedition in Amerika und hat dort derart viele Pflanzen, Tiere und Erkenntnisse gesammelt und darüber publiziert, dass er praktisch weltweit zu einer Art Popstar der Wissenschaft wurde. Mit dazu beigetragen haben sicherlich seine Fähigkeit, dieses Wissen auch einem breiten Publikum näher zu bringen, sowie sein diplomatisches Geschick und damit verbunden das Wissen, wie mit den Herrschern dieser Welt umzugehen ist. Die Expedition selbst und die Publikationen erfolgten auf seine eigene Kosten. Möglich wurde ihm das durch ein überaus reichliches Erbe und die Einkünfte aus seinen Veröffentlichungen und Auftritten. Dennoch ging das alles ziemlich an die Substanz, sodass dieses ererbte Vermögen schön langsam dahinschmolz.

Aber da kommt plötzlich 1829 die Einladung des Russischen Zaren Nikolaus I., eine Expedition nach Sibirien zu unternehmen - auf Kosten Russlands! A.v.H. griff sofort zu.

Selbstverständlich gab es auch nach dieser Reise eine umfangreiche Veröffentlichung darüber. Auszüge daraus, Zitate aus Tagebucheintragungen und Briefen hat Oliver Lubrich zu diesem Buch zusammengestellt und macht für uns die Reise und deren Begleitumstände nachvollziehbar, ohne dass wir uns das gesamte Originalwerk zu Gemüte führen müssen.


Und diese Zusammenstellung ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Die ausgewählten Texte vermittelten mir einerseits den ungeheuren Umfang der Reise, und die Eindrücke, die die Teilnehmer von Ural, Sibirien, Altai und Kaspischem Meer mitgenommen hatten.

Aber vor allem kam recht gut rüber, wie ausgesprochen heikel diese Reise war. Denn das Regime sorgte dafür, dass der Tross keinen Schritt unbeaufsichtigt machen konnte. Das passierte zwar oberflächlich auf ausgesprochen freundliche Art, aber es war allen klar, dass es hier vor allem um Beaufsichtigung ging. Humboldt hatte zwar Passier- und Zutrittsscheine von höchster Stelle, die ihm überall Tür und Tor öffneten, aber er konnte eben nicht auf eigene Faust reisen. Er und seine Begleiter wurden in jeder Stadt von den Regionalkaisern in Empfang genommen, von Bankett zu Bankett geschleift und sämtliche organisatorischen Arbeiten wurden ihnen abgenommen ("Kein Schritt, ohne dass man ganz wie ein Kranker unter der Achsel geführt wird").

Mehrmals haben sie Verurteilte auf ihrem Weg nach Sibirien angetroffen. In seinen offiziellen Briefen an den russischen Finanzminister durfte davon nicht die Rede sein, aber er erlaubte sich immerhin in privaten Briefen, davon zu schreiben. Das war nicht ohne Risiko, denn er musste immer damit rechnen, dass auch seine private Post zensuriert wurde. Er beschreibt diese Züge ein wenig: Die Verurteilten gehen - an einem langen Seil angebunden - im Gänsemarsch; etwa 30 km pro Tag, alle vier Tage wird geruht. Sie wandern von Lager zu Lager, die eigens für diesen Zweck angelegt wurden. Wegen der enormen Entfernungen sind diese Trecks oft monatelang unterwegs - je nach Zielort; denn hochgerechnet kommen sie "nur" etwa 700 km pro Monat weiter.

Dennoch gönnte er sich trotz der gegebenen Umstände zwei nicht geplante Abstecher, die er spontan vor Ort plante und erst nachträglich genehmigen ließ: einmal in das Altai-Gebirge bis zur chinesischen Grenze sowie zum Kaspischen Meer.

Von der sibirischen Steppe war er nicht sonderlich beeindruckt. Man fährt tagelang durch das Gras und bewegt sich wie ein Schiff auf dem Wasser - aber eben zu Lande in der Kutsche; da ging es ihm wie Travnicek auf seiner legendären Fahrt durch die Steppe.
Auch Flora und Fauna boten ihm nicht wirklich Neues ("Sibirien ist die Fortsetzung der Berliner Hasenheide"). Beeindruckender für ihn als Bergwerks-Techniker waren da die diversen Bergwerke und Goldwäschen am Ural. Aufgrund seiner Erfahrungen konnte er auch Diamant-Vorkommen im Norden vorhersagen, die sich dann tatsächlich auch bewahrheiten sollten.

In den beiden Nachworten, verfasst von Oliver Lubrich und Karl Schlögel, wird auf die besonderen Umstände dieser Reise noch einmal intensiv hingewiesen. Einerseits die heikle Mission an sich, andererseits deren enorme Dimensionen. Humboldt und seine Begleiter reisen von Berlin nach St. Petersburg, dann eben an den Ural, durch Sibirien und wieder zurück. Die Zeit ist knapp bemessen, denn ein Reisen durch den kalten Kontinent ist praktisch nur in den Sommermonaten möglich. Sie brechen daher im Mai 1829 in St. Petersburg auf und kommen Ende Dezember 1829 wieder in Berlin an. Auf der gesamten Reise legen sie mehr als 18.000 km zurück und benötigten dafür mehr als 12.000 Pferde. An manchen Tagen legen sie 300 km zurück, wobei alle 20-30 km die Pferde gewechselt werden müssen. Der Zar stellt Humboldt für diese Reise 20.000 Rubel zur Verfügung, von denen etwa 15.000 tatsächlich verbraucht werden, den Rest gibt er zurück.

Am Ende ist Humboldt aber dennoch glücklich, diese Reise unternehmen haben zu dürfen. Ohne die Organisation und diese 20.000 Rubel wäre sie ihm nicht (mehr) möglich gewesen.

Und wir dürfen uns glücklich schätzen, diese Reise miterleben zu dürfen. Ein sehr gelungenes Buch!



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