Samstag, 30. März 2019

"Medea" im Burgtheater

Nach längerer Zeit waren wir heute wieder einmal im Burgtheater. Gespielt wurde eine moderne, neue Fassung des Medea-Stoffes von Simon Stone, sehr sehr frei nach Euripides. Die Handlung wird ins Heute verlegt: Anne und Lukas sind Forscher in der Pharma-Branche und die Söhne drehen Videos für YouTube.

Aber es passt. Gerade durch diese radikale Versetzung der Handlung in unsere Zeit, wird so richtig bewusst, wie aktuell  und somit zeitlos dieser Stoff in Wirklichkeit ist. Resultat ist ein gelungener, spannender, unter die Haut gehender Theaterabend!

Medea schreitet zum Äußersten
Foto: Reinhard Werner




Die Vorstellung findet auf komplett weißer Bühne statt, Requisiten gibt es keine (von der rieselnden Asche einmal abgesehen). Ab und zu wird ein Video eingespielt, aber eher sparsam und an den passenden Stellen.

Das Stück funktioniert meiner Meinung nach so gut, weil sich der Autor auf die Kernhandlung konzentriert und nur diese neu aufbereitet. Bei Euripides hat Medea überhaupt erst ermöglicht, dass Iason und seine Argonauten das Goldene Vlies tatsächlich entführen konnten. Sie musste dafür aber aus ihrer Heimat fliehen und mit Iason in dessen Heimat ziehen. Dort bleibt sie ewig die Fremde. Als Iason mit Glauke, der Tochter des Königs Kreon, eine Beziehung beginnt, bricht für Medea die Welt zusammen. Sie, die sie ihrem Mann erst diesen Erfolg ermöglicht hat, wird nun zurückgewiesen. Mehr noch, Kreon verbannt sie aus seinem Land, weil Medea ihm mit ihren Racheschwüren und Zauberkünsten zu gefährlich wird. Sie bestraft Iason damit, dass sie zunächst Glauke und Kreon tötet und anschließend die eigenen Kinder. Nichts soll von Iason übrig bleiben.

Bei Simon Stone sieht das dann so aus: Anna hat für ihren Mann Lucas die eigentliche Forschung betrieben; nächtelang hat sie seine Daten gesichtet und Formeln korrigiert. Die Lorbeeren hat er geerntet. Als sie mitbekommt, dass er bereits eine Beziehung zur Schwester (Clara) des Chefs (Christoph) hat, versucht sie zunächst, Lucas langsam zu vergiften. Wieder aus der Psychiatrie zurück, versucht sie zunächst, Lucas zurück zu gewinnen. Als der sich nicht von Clara trennen will, schreitet Anna zur Tat. Sie tötet zunächst Clara und Christoph, danach vergiftet sie ihre Kinder und sich selbst. Zur Sicherheit setzt sie noch das Haus in Brand.

Wenn man sich in der Handlung eben darauf beschränkt und noch dazu moderne, zeitgemäße Sprache und Umgebungen schafft, dann merkt man erst so richtig, wie aktuell und tragisch dieser Stoff ist - heute wie vor 2500 Jahren.

Gerade in der Schlussszene ist es im Saal mucksmäuschenstill. Sehr ruhig werden die letzten Dialoge gesprochen, während Anna ihre Söhne und sich selbst mit Asche bedeckt. Lucas wird zum brennenden Haus gerufen, er kann nur noch zusehen, wie sein Leben sich in Rauch auflöst.

Großer, lang anhaltender Applaus, den sich das Ensemble redlich verdient hat. Bis in die kleinste Rolle (Falk Rockstroh als Buchhändler) großartig besetzt. Vorhang gibt's ja keinen, sonst hätte ich geschrieben: zahlreiche Vorhänge! So stell ich mir zeitgemäßes Theater vor!

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