Mittwoch, 7. November 2018

Ian McEwan: Honig ★★★★☆

Ian McEwan: Honig 


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Im Kalten Krieg gab es bis 1969 den Kongress für kulturelle Freiheit (Congress of Cultural Freedom, CCF), der in ganz Europa Zeitschriften und Autoren förderte. Die Autoren sollten bloß antikommunistisch sein und die Vorzüge des Westens wie Meinungsfreiheit, Freiheit der Kunst, Menschenrechte, Presse- und Reisefreiheit etc. den entsprechenden Verhältnissen im Ostblock gegenüberstellen. Dabei genossen die Autoren größtmögliche Freiheit, sodass das eine oder andere Werk durchaus einmal nicht in diesem Sinne ausfallen konnte.

In England etwa wurde die Zeitschrift "Encounter" gefördert, in Deutschland "Der Monat" und in Österreich das "FORVM". Was diese Zeitschriften und Autoren zunächst nicht wussten, war, dass die Finanzierung über mehrere Zwischenstufen letztlich von der CIA kam.

In diesem Setting ist der Roman "Honig" angesiedelt. Hier setzt der britische Inlandsgeheimdienst MI5 1973 ein Projekt mit diesem Namen auf, um junge, erfolgversprechende Autoren mit der entsprechenden Gesinnung finanziell "unabhängig" zu machen. Serena Frome wird vom MI5 extra für diese Aufgabe angeworben und alles läuft wunderbar. Zunächst.



Der Roman beginnt etwas langatmig und braucht sehr lange, bis die Personen endlich charakterisiert sind. Erst als Serena, die Viel- und Schnell-Leserin, beim Projekt Honig mitmachen darf, nimmt die Handlung endlich etwas mehr Fahrt auf.

Als der Autor Tom Haley in die engere Wahl kommt, gefördert zu werden, muss erst mal eine Expertise gemacht werden; und dafür muss jemand ein paar Kostproben lesen. Diese Aufgabe übernimmt Serena und diese Kostproben werden in den Roman auch eingeflochten. Allein schon wegen dieser Textproben lohnt es sich, dieses Buch zu lesen: die Ideen sind wirklich originell und von Meister McEwan eben meisterlich erzählt!

Kurz: Tom wird ausgewählt, bekommt sein Stipendium und schreibt seinen ersten Roman, der auch sofort ein Erfolg wird. Allerdings ist der nicht ganz nach dem Geschmack des MI5, denn er schildert darin eine postapokalyptische Gesellschaft, in der sich ein Vater mit seiner Tochter durchzuschlagen versucht, was aber für beide tragisch endet. Von schöner westlicher Welt weit und breit nichts zu sehen.

Dazu kommt noch, was kommen muss: Serena und Tom kommen einander auch persönlich näher, was wiederum Eifersüchteleien herauf beschwört, die bis zum Verrat des ganzen Arrangements führen. Es kommt zum Eklat.

Zum Schluss gibt es aber eine überraschende Wende, weil etliche beteiligte Personen doch mehr wussten und erzählten (oder auch verschwiegen), was man als Leser aber erst hinterher erfährt. Man erfährt auch erst hinterher, warum Tom plötzlich wie wild in seine Schreibmaschine hämmert, wo er doch angeblich ausgebrannt ist und unter einer Schreibblockade leidet; und so weiter. Geheimdienstlich und geheimnistuerisch eben, jeder belauert jeden.

Nebenbei wird natürlich auch der zeitliche Kontext von 1973 geschildert. Die OPEC dreht gerade den Ölhahn zu, die Bergarbeiter bekommen von ihren Arbeitgebern 19% mehr Lohn angeboten, diese verlangen aber 35%. Und besonders witzig in Zeiten des Brexit: die Briten sind gerade erst der EWG beigetreten und diskutieren schon, ob das wirklich eine gute Entscheidung war. Frauen ohne männliche Begleitung in einem Pub? In der Stadt geht das schon, aber am Land? Zitat: "Wir taten so, als sei das völlig normal, aber es war immer noch ein besonderer Kick. Anderswo im Königreich hätte man uns für Huren gehalten oder uns so behandelt."

"Honig" ist sicherlich nicht der beste Roman von Ian McEwan, aber schlecht ist er nun auch wieder nicht. Die vier Sterne für "überdurchschnittlich" gehen schon in Ordnung. Aber "Abbitte" oder "Liebeswahn" sind halt schon noch einmal eine andere Liga.

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