Montag, 28. November 2016

"Geächtet" im Burgtheater

Der Autor Ayad Akhtar ist bei uns offenbar noch so unbekannt, dass es nicht einmal einen Eintrag in der deutschen Wikipedia gibt; gleiches gilt für sein mit dem Pullitzer Preis ausgezeichnetes Stück "Geächtet", das wir gestern im Burgtheater sahen - als österreichische Erstaufführung. Autor und Stück sind zu Unrecht bei uns so unbekannt, soviel sei vorweg schon einmal verraten! Auf der Seite des Burgtheaters findet sich auch ein Interview mit Ayad Akhtar.

Vor Beginn. Offene Bühne, die bis in die zweite Reihe des Zuschauerraumes ragt

So friedlich wird es nicht bleiben. [Quelle: Burgtheater / Georg Soulek]


Der junge Anwalt Amir ist sehr erfolgreich auf seinem Gebiet und erwartet, dass er demnächst in die Geschäftsführung seiner Kanzlei aufgenommen wird. Er ist in den USA geboren und hat natürlich einen islamischen Hintergrund, da seine Eltern aus Pakistan eingewandert sind - ihre Kinder sollten es einmal besser haben. Amir hat aber seine Religion komplett abgelegt. "Indische Wurzeln" klingt auch viel besser als "pakistanische Wurzeln" und so gibt er als Geburtsland seines Vaters "Indien" an. Was für 1946 zwar korrekt ist, denn die Trennung Pakistans von Indien erfolgte erst später, für Leute der Gegenwart ist es aber schon reichlich irreführend.

Seine Frau Emily ist amerikanische Protestantin, schwärmt aber als Künstlerin besonders für das islamische Erbe an Farben und Formenreichtum. Probleme, die es im und mit dem Islam zweifellos gibt, ignoriert bzw. negiert sie hartnäckig. Das ist zwar politisch korrekt, aber auch reichlich naiv.

Die beiden erwarten zum Abendessen ihre Freunde Isaac und Jory, vom Autor dramaturgisch als Jude bzw. Schwarze aufgestellt. Isaac ist noch dazu Emilys Kurator und überlegt, ihr einen prominenten Platz in seiner neuen Ausstellung zu gewähren. Der Abend ist also für Emily äußerst wichtig. Später stellt sich noch heraus, dass Jory in der gleichen Kanzlei arbeitet wie Amir.

Und da ist noch Hussein, Amirs Neffe, der sich neuerdings Abe nennt - klingt besser, obwohl er Religion sehr ernst nimmt und auch regelmäßig die Moschee besucht. Der Imam seiner Moschee steckt in Schwierigkeiten, daher bittet Hussein Amir, ihm juristisch zur Seite zu stehen. Amir weigert sich zunächst, weil er an der Religion nicht einmal anstreifen möchte. Emily setzt ihn mit ihrer political correctness aber so unter Druck, dass er ihr zuliebe doch zur Verhandlung geht und dort ein Statement abgibt. Obwohl er nicht formal dessen Verteidiger ist, kommt es in der New York Times doch so rüber, dass sich der erfolgreiche Anwalt Amir von der Kanzlei Soundso für den Imam einsetzt.

All das wird im Laufe des Abendessens zum Gespräch, und es entwickeln sich zahlreiche Konflikte kreuz und quer. Irgendwann ist es dann soweit, dass die Anschläge vom 11. September zur Sprache kommen. Bei dieser Gelegenheit gibt Amir zu, dass er gelegentlich einen "Hauch" von Genugtuung verspürt, dass die Islamisten es dem Westen gezeigt haben. Ähnlich fühle er, wenn der Iranische (Ex-) Präsident Ahmadinedschad damit droht, sämtliche Juden Israels ins Mittelmeer zu treiben.

Das ist eine Stelle im Stück, die ich Amir bzw. dem Autor nicht so recht abkaufe, sie wirkt für mich unglaubwürdig. Gewiss gibt es viele, die so einen Hauch (und noch mehr) spüren, aber nicht Amir; dafür hat er schon viel zu viel unternommen, um von der Religion wegzukommen. Aber anscheinend möchte uns der Autor vermitteln, dass Blut dicker als Himbeersaft ist.

Egal. Mehr braucht Amir nicht. Alle stürzen sich auf ihn. Damit nicht genug, stellt sich noch heraus, dass die Paare schon Partnertausch praktiziert haben, ohne dass der eigene Partner davon wusste. Alle bis auf Amir wussten auch schon, dass Jory und nicht Amir in die Geschäftsführung der Kanzlei aufrücken würde. Grund dafür ist, dass es die Kanzlei nicht gutheißt, wenn sich ein angehendes Mitglied der Geschäftsführung mit einem Imam abgibt.

Und so geht an einem Abend alles den Bach runter: Emily und Amir trennen sich, Amir bleibt als Geächteter zurück.

Das wäre ein wunderbar geeigneter Schlusspunkt gewesen. Aber leider setzt der Autor noch eins drauf, und die letzten zehn Minuten verkommen zu einer amerikanischen Seifenoper à la
"Es tut mir soooo leid, ich bin an allem schuld." "Nein, ich bin an allem schuld, jetzt erkenne ich es." "Nein, ich bin schuld."
Und so weiter. Kann nicht einmal einer sagen: "Ja, du bist dran schuld. Was musstest du mich auch zwingen, den Imam zu verteidigen, ich hab es nur für dich und unsere Beziehung getan."? Oder sowas in der Art?

Ärgerlich zwar, aber letztlich tut das dem gelungenen Theaterabend keinen wirklichen Abbruch. Die Vorstellung des Ensembles war wieder erstklassig, auch das Bühnenbild war klar und funktionell. Die beinahe zwei Stunden ohne Pause waren keine Herausforderung, es war zu keinem Zeitpunkt langweilig.

Langer Schlussapplaus, hätte nach meinem Geschmack durchaus euphorischer sein können.

* * * * * * *

Und jetzt zu etwas ganz anderem / And now for something completely different!

Als ich den Titel "Geächtet" hörte, war mein erster Gedanke nicht bei diesem Theaterstück, sondern bei einem Film, nämlich "The Big Lebowski". Ich hab diesen Film jetzt schon so oft gesehen, dass ich bei den meisten Szenen wahrscheinlich mitsprechen könnte.

Wie zum Beispiel bei dieser. Der Dude und Walter sind auf der Suche nach dem Koffer mit der Million. Sie haben herausgefunden, dass der Schüler Larry irgendwas damit zu tun haben muss, denn der Dude hat eine seiner korrigierten Hausübungen im Auto gefunden. Walter beschließt, Larry zur Rede zu stellen. Als sie dessen Haus betreten, fällt bei Walter plötzlich der Groschen: sie sind im Haus des Autors der Serie "Geächtet" (jetzt sind wir am Ziel der Gedankenkette), die Walter so gerne gesehen hat. Larry schweigt aber standhaft und Walter muss zu Plan B greifen.
Diese Szene gibt es glücklicherweise auf YouTube und ich möchte sie euch (und mir) an dieser Stelle natürlich nicht vorenthalten. Viel Spaß!



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