Mariahilfer Straße neu - ein Lokalaugenschein

Seit zwei Wochen ist der Großteil der inneren Mariahilfer Straße in Wien Fußgänger- bzw. Begegnungszone. Und seit zwei Wochen gibt es ein ständiges Lamento, wie chaotisch es dort denn zuginge. Die Busfahrer wollten schon streiken, weil ihnen die 200m durch die Fußgängerzone zu gefährlich erscheinen, die Zulieferer und Taxifahrer sind unzufrieden, und vor allem die Radfahrer wären eine ständige Bedrohung aller anderen Verkehrsteilnehmer.

Zeit also, einmal einen Lokalaugenschein vorzunehmen. Die Fotos der folgenden Doku stammen von gestern (Freitag) ca. 16:00 Uhr. Vielleicht lag es ja daran, dass um diese Zeit nicht allzu viele Leute - trotz des sonnigen Wetters - unterwegs waren; aber von Chaos kann jedenfalls keine Rede sein.



Für alle, die die Mariahilfer Straße nicht kennen: sie war seit jeher eine Einkaufsstraße und hat in den letzten Jahrzehnten einiges durchgemacht. Die schlimmste Phase dürfte wahrscheinlich der Bau der U3 gewesen sein, deren Tunnel in offener Bauweise errichtet wurden. Während dieser Zeit war sie praktisch nur für Fußgänger verwendbar, Autos hatten eigentlich keine Chance durchzukommen.
An den Samstagen vor Weihnachten war sie immer schon Fußgängerzone, so neu und ungewohnt ist diese Situation also auch wieder nicht. Neu ist eben, dass sie jetzt ständig Fußgängerzone bzw. Begegnungszone sein soll.
Der obere und untere Teil sind Begegnungszonen. Das bedeutet, dass Autos, Radfahrer und Fußgänger diesen Bereich gleichberechtigt benützen können (vergleichbar einem shared space); es gilt ein generelles Tempolimit von 20km/h.
Der Mittelteil ist echte Fußgängerzone; allerdings dürfen Radfahrer auch wirklich fahren (Schritttempo) und nicht bloß ihr Rad schieben. Und außerdem fährt der Bus der Linie 13A auf ca. 200m durch diese Zone; für ihn wurde ein breiter roter Streifen aufgemalt, der wirklich nur von Bussen, Taxis und Radfahrern benutzt werden darf, Fußgänger dürfen ihn lediglich queren. Der Busstreifen darf von allen genannten nur in Fahrtrichtung des Busses benutzt werden!

Nur der mittlere Teil (gelb) ist echte Fußgängerzone, die rosa gefärbten Abschnitte sind die beiden Begegnungszonen (Quelle: Stadt Wien)

Die Reihenfolge der Fotos ist "von unten nach oben" (die Mariahilfer Straße hat eine leichte Steigung) bzw. auf der obigen Karte "von rechts nach links".

In einer Seitengasse kann die Ware des Möbelhauses abgeholt werden. Viel los ist nicht gerade.

So...

... und so sind die Begegnungszonen beschildert. Auch Fußgänger düfen nicht schneller als 20km/h unterwegs sein!

In der Begegnungszone...

... wird die Geschwindigkeit kontrolliert.

In der Begegnungszone

So soll es sein: die Busspur in der Fußgängerzone ist nur für den Bus und Taxis da

Der Bus pflügt sich durch die Massen der Fußgänger. Der Radfahrer ist legal unterwegs...

... ebenso diese hier; denn in diese Richtung ist das Fahren auf der Busspur erlaubt

Hier sieht man, wie schmal der Reststreifen für die Fußgänger eigentlich ist. Fragt sich, ob sich der Aufwand dafür überhaupt gelohnt hat. Theoretisch ist dieser schmale Streifen für Fußgänger und Radfahrer, die bergauf fahren, da; kein Wunder, dass Radfahrer auf die Busspur ausweichen.

Ende der Fußgängerzone, Beginn der oberen Begegnungszone.

In der Fußgängerzone. Die meisten Passanten sind  trotzdem auf den Gehsteigen unterwegs.

Schönes Beispiel für urban knitting

Mein Fazit: Fußgänger- und Begegnungszonen sind ok, die Busspur in der Fußgängerzone ist ein Störfaktor. Die Fahrbahn ist von Haus aus schon so schmal, dass neben der Busspur für die Fußgänger und Radfahrer nicht mehr viel Platz bleibt. Die derzeitige Lösung ist ein Kompromiss aus vielen Teilinteressen (so sieht er auch aus), meiner Meinung nach gibt es hier dringenden Änderungsbedarf: der Bus muss anders geführt werden.

Das Getöse in den Medien ist meiner Meinung nach aber stark übertrieben und dürfte großteils dem Wahlkampf für die kommende Nationalratswahl zuzuschreiben sein.