Montag, 11. Januar 2016

Ulrich Kühnen: Tierisch kultiviert. Menschliches Verhalten zwischen Kultur und Evolution ★★★★☆

Ulrich Kühnen: Tierisch kultiviert. Menschliches Verhalten zwischen Kultur und Evolution 


Cover: Springer Verlag


Was macht eigentlich Kultur aus? Kann man Kulturen untereinander vergleichen, und wenn ja wie? Gibt es Rückkopplungen der Kultur auf unser Denken und unser Verhalten? Und nicht zuletzt: Wie kam Religion in unser Leben und wozu ist sie gut?

Diese und viele andere Fragen rund um Kultur bzw. Vergleich von Kulturen werden in diesem Buch angeschnitten - mehr kann es bei der Fülle und Komplexität dieser Fragestellungen auch nicht sein.



Ulrich Kühnen befasst sich beruflich mit diesen Fragen und er kann die Themen und Ergebnisse wirklich gut und für Laien verständlich rüber bringen. Er nimmt den Leser an der Hand und führt ihn durch die Fülle der Erkenntnisse, die sich in den letzten 15 Jahren angehäuft haben. Die Kapitel bauen meistens aufeinander auf, sodass sich ein durchgehender roter Faden durch das Buch ergibt. Am Ende jedes Kapitels gibt es Tipps für weiterführende Literatur oder auch Links ins Internet zu interessanten Interviews oder Laborversuchen.

Nur eine kleine Auswahl von Themen, die er behandelt:

  • Pünktlichkeit ist abhängig vom Breitengrad, in der eine Kultur angesiedelt ist: je weiter weg vom Äquator, desto pünktlicher. Dass das tatsächlich so ist und warum, erklärt er im Buch.
  • Eine Kategorisierung von Kulturen ist im Wesentlichen durch drei Kriterien (Dimensionen) möglich; dadurch werden sie auch vergleichbar
  • Enge und weite Kulturen: wie rasch und wie stark werden Abweichungen von der Norm sanktioniert - oder eben nicht?
  • Schönheit: nicht das Außergewöhnliche, sondern das Normale ist schön. Es gibt dazu eine interessante Seite, auf der man das selbst experimentell wunderschön nachvollziehen kann: je mehr Gesichter man übereinander legt (und dadurch mittelt), als desto attraktiver wird das Ergebnisgesicht betrachtet
  • Umgang mit Zahlen, Statistiken und Risikoeinschätzungen sowie den Schwierigkeiten, die unser Hirn damit hat: vom Storchenproblem bis zu fragwürdigen Mammographie-Screenings. Hier verweist er vor allem auf die Werke von Gerd Gigerenzer, die schon seit längerem auf meiner Wunschliste stehen - nach dieser Lektüre jetzt noch weiter oben.

Beim letzten Kapitel, das sich mit Religionen beschäftigt, merkt man richtig seine Bemühungen, keinen Leser in seinen Gefühlen zu verletzen oder zu verprellen - wenngleich seine Skepsis an mehreren Stellen durchschimmert. Interessant sind sie aber doch, die Forschungsergebnisse der letzten Jahre; kurz gesagt: ein strenger, bestrafender Gott schafft Zusammenhalt und Fairness. Das mag jetzt nicht sonderlich überraschend sein, aber jetzt ist es auch empirisch nachgewiesen.

Insgesamt ein sehr interessantes Buch, das dem Leser den Stand der Kenntnis recht gut vermittelt. Sämtliche Aussagen sind selbstverständlich empirisch und statistisch gesichert; das unterscheidet dieses Buch wohltuend von anderen. Wer sich für all das näher interessiert, findet überdies Unmengen weiterführendes Material.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen