Mittwoch, 20. Januar 2016

Angela Steidele: Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens. ★★★★☆

Angela Steidele: Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens. 


Cover: suhrkamp / insel taschenbuch

Anfang des 19. Jahrhunderts treffen eine ganze Reihe starker und bemerkenswerter Frauen aufeinander. Angela Steidele stellt Sibylle Mertens und Adele Schopenhauer in den Mittelpunkt ihres Buches. Zwischen diesen beiden entwickelt sich eine - aus heutiger Sicht - relativ moderne lesbische Beziehung mit allen Höhen und Tiefen: Liebe, gemeinsamer Haushalt, Reisen, Krisen, jahrelange Trennung und danach wieder Zusammenfinden und letztlich Tod.

Die Autorin rekonstruierte all das vor allem aus zahlreichen erhaltenen Briefen und Tagebüchern. Man merkt dem Buch an, dass die Recherche sehr aufwändig gewesen sein muss; den Überblick über all die Personen und deren Aufenthaltsorte über einen so großen Zeitraum zu behalten, war bestimmt nicht einfach!


Ich möchte mit kurzen (?) Beschreibungen der Damen beginnen. Die Herren spielen in diesem Buch nur Nebenrollen, daher kommt deren Charakterisierung erst danach.

Die Verhältnisse sind kompliziert und vielfältig und verwickelt; ich werde versuchen, die Beschreibungen auf das Nötigste zu beschränken! Ich fürchte aber, das wird nicht ganz gelingen und dieser Post wird sich in der Länge ganz schön auswachsen...

Adele Schopenhauer (1797-1849)

Ihr älterer Bruder Arthur (ja, der berühmte Philosoph) lebt bereits sein eigenes Leben, als Adele mit ihrer Mutter Johanna 1806 nach Weimar übersiedelt. Der Zeitpunkt dafür ist eher ungünstig: Weimar steht in den Napoleonischen Kriegen kurz vor der Plünderung und die Einquartierung französischer Truppen steht bevor. Johanna verhält sich aber geschickt, und so bleibt ihr Haus eines der wenigen in Weimar, das nicht geplündert wird.

Das entgeht auch Johann Wolfgang von Goethe nicht, und so ist er häufiger Gast im Hause Schopenhauer. Er entdeckt in Adele eine Tochter, die er nie hatte und sie in ihm den Ersatzvater, weil der eigene so früh verstorben war. In all ihren Briefen spricht sie ihn immer als "Vater" an. Im Laufe der Zeit lesen und analysieren sie gemeinsam Literatur von der Antike bis zu ihrer Zeit; auf diese Art und Weise entwickelt Adele literarische Kompetenz, die für Frauen zu dieser Zeit sicherlich außergewöhnlich war.
Außergewöhnlich war auch ihr Talent für Scherenschnitte; selbst Goethe war begeistert!

Zwergenhochzeit - ein Scherenschnitt von Adele Schopenhauer

Die neunjährige Adele freundet sich außerdem mit der gleichaltrigen Ottilie an, die ebenfalls 1806 mit ihrer Familie in Weimar landet. Ottilie wird später die Schwiegertochter Johann Wolfgang von Goethes werden.
Auf einer Reise mit ihrer Mutter an den Rhein lernt Adele Sibylle Mertens kennen.

Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797-1857)

Sibylle Schaaffhausen wird in eine reiche Kölner Bankiers-Familie geboren, richtige Geldsorgen hatte sie Zeit ihres Lebens nie, auch wenn ihre Kinder sie in teure Erbschaftsstreitigkeiten verwickelten und große Teile ihres Vermögens blockierten.

Ihre Ehe mit Louis Mertens war arrangiert, wie es damals eben üblich war; sechs Kinder folgten in rascher Folge. Die Ehe war von Anfang an unglücklich; nicht nur, weil sie arrangiert war, sondern weil Sibylle sich zu Frauen mehr hingezogen fühlte. Ihre Verbindung mit Adele Schopenhauer musste, solange Louis noch lebte, eher auf Sparflamme gehalten werden. Erst nach seinem Tod konnten sie sich richtig ausleben. Ausgedehnte Reisen in den Süden - weitab vom Bonner und Kölner Klatsch - waren dabei sehr hilfreich.

Sibylle interessierte sich von klein auf für Archäologie und Münzkunde und brachte es in ihrem Leben zu echtem und sehr gefragtem Expertenwissen auf diesen Gebieten. Ihre umfangreichen Sammlungen musste sie später teilweise versilbern, weil ihre Kinder ihr Vermögen nach dem Tod von Louis blockierten. Überhaupt war es einer Frau damals nicht möglich, selbstständig über ihr Hab und Gut zu bestimmen: sie waren nicht geschäftsfähig und brauchten einen männlichen Vormund!
Sie war außerdem eine Förderin des Kölner Doms, der zu ihrer Zeit eine seit Jahrhunderten verwaiste Baustelle war. Sie gründete Fördervereine, veranstaltete Versammlungen ("fund raising" würde man das heute wohl bezeichnen) und gab auch selbst große Summen dafür her.

Selbst in Italien ergriff sie die Initiative und versorgte während einer Cholera-Epidemie verwaiste Kinder. Sie hielt die Cholera für nicht ansteckend, was die Cholera allerdings anders sah. Sibylle hatte unwahrscheinliches Glück und kam nach einer nur leichten Form der Krankheit rasch wieder auf die Beine.

Laurina Spinola (1806-1838)

Sie war die Tochter des italienischen Adeligen Gian Carlo Di Negro, den Sibylle im Zuge ihres Aufenthaltes in Genua kennen lernte. Zwischen den beiden Frauen hat es sofort gefunkt und sie erlebten ein schönes und ereignisreiches Jahr. Irgendwann musste Sibylle aber doch wieder nach Bonn zurück zu Mann und Kindern - Louis hatte schon sehr darauf gedrängt. Kaum war Sibylle wieder in Bonn, starb Laurina völlig überraschend. Über diesen plötzlichen Tod ihrer Freundin ist Sibylle nie wirklich hinweg gekommen. Sie bezeichnete Laurina immer als den wichtigsten Menschen in ihrem Leben - noch vor Adele.

Sehr viel mehr ist über Laurina leider nicht bekannt.

Ottilie von Goethe (1796-1872)

Ottilie von Pogwisch, die Kindheits- und Jugendfreundin von Adele, ging in Goethes Haus am Weimarer Frauenplan ein und aus. Auch sie entwickelte zu Johann Wolfgang von Goethe eine innige Vater-/Tochter-Beziehung, ähnlich wie Adele. Irgendwann gab sie den Avancen von August von Goethe doch nach und heiratete ihn. Weniger, weil sie die Frau von August, sondern weil sie die Schwiegertochter von Johann Wolfgang von Goethe werden wollte. Ihren August, der immer wieder gegen den Alkohol zu kämpfen hatte, überlebte sie um mehrere Jahrzehnte!

Ottilie war kein Kind von Traurigkeit. Sobald sie durch ihre Ehe nicht mehr wegen Jungfräulichkeit behindert war, ging sie zahlreiche Verhältnisse ein. Als sie bereits einige Jahre verwitwet war, bekam sie noch ein Kind. Anna Jameson zog mit ihr nach Wien, um dem Klatsch in Weimar zu entgehen und unterstützte sie in dieser schwierigen Zeit.

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)

Die bekannte deutsche Dichterin war mit Adele, Sibylle und Ottilie mal mehr, mal weniger befreundet. Vor allem Adele empfand Annette als Störfaktor, der sich zwischen Adele und Sibylle drängte, speziell in der Zeit, als Annette Sibylle nach einer schweren Gehirnerschütterung mehrere Monate lang gesund pflegte. Von diesen Eifersüchteleien angewidert zog sich Annette wieder nach Münster zurück und ging dort ihren literarischen Weg.

Anna Jameson (1797-1860)

Die irisch/englische Schriftstellerin war zwar mit Robert Jameson verheiratet, lebte aber getrennt von ihm. Sie unternahm zahlreiche Reisen in Europa und vor allem in Kanada, wo sie auch eine Zeit lang mit den dortigen Indianern lebte. Die Berichte von ihren Reisen waren sehr erfolgreich und wurden gerne gelesen.

Wenn sie wieder einmal in Europa war, traf sie sich viel mit Sibylle, Adele und vor allem Ottilie. Anna war es auch, die Ottilie den Skandal um ihr uneheliches Kind vom Leib hielt - in Wien, weit weg von Weimar!

Johanna Schopenhauer (1766-1838)

Johanna wurde in eine reiche Danziger Kaufmannsfamilie geboren. Mit 18 wurde sie mit dem Danziger Fabrikanten Heinrich Schopenhauer verheiratet, der aber nach und nach immer gereizter wurde und in Depressionen verfiel, und der schließlich 1805 seinem Leben ein Ende setzte. Johanna, Arthur und Adele erbten je ein Drittel des beträchtlichen hinterlassenen Vermögens.

Die Mutter von Arthur und Adele übersiedelte 1806 mit ihrer Tochter von Danzig nach Weimar. Arthur war schon aus dem Haus und darüber waren Johanna und Adele gar nicht traurig; Arthur war ein schwieriger Zeitgenosse, er war nicht nur bei seinen Kollegen, sondern sogar in der eigenen Familie unbeliebt.

Als Weimar 1806 die Plünderung und Einquartierung von französischen Truppen drohte, reagierte Johanna rasch und geistesgegenwärtig: sie quartierte Offiziere bei sich ein und bewirtete sie großzügig. Diese Offiziere verhinderten natürlich eine Plünderung des Hauses durch ihre eigenen Leute und so blieb Johannas Haus als eines der wenigen in Weimar verschont.

Das entging auch Johann Wolfgang von Goethe nicht, und so verkehrte er immer wieder in Johannas Salon, den sie danach betrieb. Sie war es auch, die Goethes Frau Christiane bei sich einlud und sie so in der Weimarer Society salonfähig machte. Goethe hat ihr das immer hoch angerechnet!

Johanna lebte auf großem Fuß, selbst dann noch, als sie von ihren schriftstellerischen Einnahmen her eigentlich nicht mehr dazu in der Lage war. Sie und Adele hatten ihr Erbe zu 70% verloren, als ihre Hausbank in Danzig zusammenkrachte. Adele musste ihre Mutter immer wieder finanziell unterstützen, was sie selbst an ihre Grenzen brachte. In solchen Situationen sprang dann immer wieder Sibylle helfend ein.

Louis Mertens (1782-1842)

Seine Ehe mit Sibylle wurde arrangiert und verlief von Anfang an unglücklich. Sie bekamen zwar in kurzer Zeit sechs Kinder, aber die Ehe war mehr Pflicht als Kür; vor allem für Sibylle, die sich ja zu Frauen mehr hingezogen fühlte als zu Männern.

Anfangs betrachtete Louis die Freundschaft seiner Frau mit Adele noch gleichgültig; später aber wurde ihm das Ganze zu viel und er verbannte Adele aus seinem Haus. Er muss dabei so schroff vorgegangen sein, dass sich Adele wirklich nicht mehr hingetraut hat!

August von Goethe (1789-1830)

Er bemühte sich zwar, aber er wurde seinen Ruf als Sohn nicht los. Der Schatten seines Übervaters Johann Wolfgang von Goethes war sein ständiger Begleiter. Er starb früh, noch vor seinem Vater, der für ihn in Rom eine schlichte Grabstätte organisierte. Seine Witwe Ottilie wurde beinahe doppelt so alt wie er.

Arthur Schopenhauer (1788-1860)

Seinen Kollegen Hegel hasste er wie die Pest; nur um ihn zu ärgern, setzte er seine Vorlesungen zur gleichen Zeit wie Hegel an; die "Abstimmung mit den Füßen" durch die Studenten ging aber zu Gunsten von Hegel aus. Sein Pamphlet "Über die Weiber" trieft vor Frauenfeindlichkeit und hat ihn auch nicht liebenswerter gemacht - weder in der Öffentlichkeit, noch bei seiner Familie. Nur in einem sollte er Recht behalten: sein Hauptwerk "Die Welt als Wille und Vorstellung" wird heute immer noch gelesen, während die Schriften seiner Mutter Johanna heute unbekannt sind.

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Das Buch behandelt vor allem die Beziehung zwischen Sibylle und Adele, die durchaus wechselvoll war. Die anderen Personen einzubeziehen ist natürlich wichtig, weil man sonst die zentrale Geschichte nicht verstehen würde.

Angela Steidele lässt vor allem die Briefe und Tagebücher sprechen; diese Zitate sind kursiv geschrieben und sind um ihre eigenen Beiträge und Erläuterungen ergänzt; insgesamt ergibt sich dadurch ein durchgehender Text.

So interessant die Themen auch sind, die in diesem Buch angesprochen werden: starke und gebildete, aber bevormundete Frauen, die ihrer Zeit weit voraus sind, lesbische Beziehungen und der Umgang der Gesellschaft damit, geschichtliche Hintergründe, Reisen etc. Mir waren die Ausführungen dann manchmal schon etwas zu ausführlich und ich wollte daher die Lektüre rasch zu Ende bringen.

Insofern hinterlässt das Buch bei mir einen etwas gemischten Eindruck, wobei die positiven - weil interessanten - Aspekte aber letztlich doch überwiegen.

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