Mittwoch, 26. Februar 2025

Mircea Cărtărescu: Theodoros ★★★★★

Mircea Cărtărescu: Theodoros  ★★★★★


Cover: Zolnay

Man nehme ein paar historische Persönlichkeiten, die zur gleichen Zeit aktiv waren:

  • Einen Kaiser von Äthiopien
  • Einen Kaiser der USA (gab es wirklich!)
  • Eine britische Königin
  • Einen britischen Heerführer

Dazu ein paar Erzengel und zahlreiche weitere Personen, die der blühenden Fantasie von Mircea Cărtărescu entsprungen sind. Diese Zutaten kommen alle in einen Topf und werden mit einer Unmenge an Text vermischt und gut verrührt bis eine Masse von 670 Seiten entsteht. Diesen Text gut mit barocker Schreibweise garnieren und in lange, lange und mehrfach verschachtelte Sätze gießen, sodass der Leser am Ende so eines Satzes schon nicht mehr weiß, wie er begonnen hat.

Wer sich von dieser Beschreibung nicht abschrecken lässt, wird mit einem Lesevergnügen der besonderen Art belohnt!


Eine Belohnung in mehrfacher Hinsicht. 

Da ist zunächst einmal die Geschichte selbst. Sie dreht sich zentral um Tudor, der im Laufe seines Werdegangs zunächst in Bukarest (der Autor ist Lokalpatriot!) aufwächst, sodann als Straßenräuber und Wegelagerer unterwegs ist, bis ihm der Boden zu heiß wird und er untertauchen muss. Das tut er dann nicht selbst, sondern überlässt das Untertauchen den anderen, denn er wird Anführer eines Piratentrupps in der Ägäis und versenkt als solcher tatsächlich unzählige Schiffe samt Mannschaft. Er treibt sein Unwesen dort so heftig, dass Türken und Griechen – selten vereint – ihn unbedingt in die Finger bekommen möchten. Er kann gerade noch – und mit viel Glück – dem Tod von der Schaufel springen und flieht dann wirklich, wirklich weit weg. 

In Äthiopien taucht er dann wieder auf. Dieses Land ist zu dieser Zeit (so Mitte des 19. Jhdts.) in den Händen von zahlreichen Stammesfürsten und Warlords, die sich gegenseitig bekämpfen. Tudor wird letztlich selbst so einer und mit seiner Erfahrung als Piratenkapitän sowie mit der tatkräftigen Unterstützung Britanniens gelingt es ihm, als einziger übrig zu bleiben und somit Kaiser von Äthiopien zu werden.

Als Kaiser Theodoros II. bringt er zunächst einiges zuwege, führt aber ein äußerst brutales Regime, sodass sich Widerstand in Form von Aufständen regt. Als die von England erbittete Unterstützung ausbleibt, geht er dazu über, Königin Victoria zu erpressen, indem er alle, die irgendwie englisch aussehen, ins Verlies steckt. Das wiederum kann sich eine Herrscherin eines Weltreiches nicht bieten lassen und schickt eine Strafexpedition, die Theodoros einfach wegfegt.


Bald aber sollten alle diese Christen sämtlicher Bekenntnisse und Konfessionen, die friedlich durch Äthiopien reisten, als deine Häftlinge enden, und dies allein darum, weil Königin Victoria es für unter ihrer Würde befand, dir zu schreiben, trotz der zahlreichen Episteln, mit denen du sie gelangweilt hattest, sodass du dahin geraten warst, sie zu verachten, und zwar nicht nur sie selbst, sondern das gesamte westliche Pack, das nur hierherkam, um das orthodoxe Gesetz deiner Kirche und die sanftmütigen Gebräuche deines Volkes zu verderben.


Warum es ihn gerade nach Äthiopien zog, hängt einerseits mit seinem Kindheitstraum zusammen, Kaiser wie Napoleon und Alexander der Große zu werden (und in Äthiopien brauchen sie grad einen), andererseits hatte er in Bukarest als jugendlicher Raufbold eine Art Erweckungserlebnis und will von da an  die verschollene Bundeslade des Judentums finden. Die hat angeblich seinerzeit Äthiopiens König Menelik von Jerusalem nach Äthiopien entführt. In Jerusalem wiederum war er, um seinen Vater, König Salomon, kennenzulernen, nachdem ihm seine Mutter, die Königin von Saba, eröffnet hatte, dass Salomon eben sein Vater wäre.

An dieser Stelle höre ich auf. Schnitt. Sonst ufert dieser Post genauso aus wie der Roman!

Die zweite Form der Belohnung ist die Schreibweise, bei der die sehr fantasievollen Bilder in sehr lange und vielfach verschachtelte Sätze verarbeitet werden, und die mich immer wieder an Gabriel García Márquez erinnerte, dem es seinerzeit ebenso gelang, Bilder der Fantasie als reinste Tatsachen erscheinen zu lassen. [Kläglicher Versuch, so einen Satz nachzubilden]

Diese Schreibweise war für mich derart anstrengend zu lesen, dass ich immer nur höchstens zwei Kapitel am Stück schaffte. Danach brauchte ich eine Pause oder es fielen mir überhaupt gleich die Augen zu. Aber nicht wegen Langeweile, wohlgemerkt. Die kam nie auf, dafür ist einfach zu viel los in diesem Buch.

Ebenso interessant ist die Perspektive des Erzählers. Mit der Zeit bekommt man beim Lesen mit, wer da eigentlich erzählt; denn Tudor/Theodoros ist es nicht, aber andererseits auch kein allwissender Erzähler. Also wer dann?

Zart besaitet sollte man übrigens nicht sein, der Roman ist für Rosamunde Pilcher-Fans absolut ungeeignet. Es geht stellenweise ordentlich zu Sache, es wird gehauen und gestochen und geschlitzt und überfallen und versenkt – und das alles unverblümt und ungeschönt geschildert.

Für mich war der Autor komplett neu, obwohl er angeblich seit Jahren als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird. Kann ich mir gut vorstellen, denn auch ich war von diesem Buch so angetan, dass bereits weitere seiner Romane auf meiner – eh schon langen – Liste landeten.

Alles in allem also ein wirkliches Lesevergnügen, trotz der anstrengenden Lektüre!

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