Dienstag, 1. Oktober 2013

"Hamlet" im Burgtheater

Gestern Abend gab es im Wiener Burgtheater "Hamlet", wahrscheinlich eines der besten und aufregendsten Stücke der Theaterliteratur und obendrein eines meiner absoluten Lieblingsstücke.

Die neue Inszenierung von Andrea Breth basiert auf ungekürztem Text, dementsprechend lang war die Vorstellung angesetzt. Die prognostizierten 6 (in Worten: sechs) Stunden waren so abschreckend, dass Jutta von vornherein abgesprungen ist; daraufhin wollte ich einigen Freunden die freie Karte anbieten: aber entweder hatten alle schon etwas vor, oder die 6h waren einfach zu abschreckend. So war ich halt allein in der Burg.

Am Nachmittag hatte ich noch dazu eine Kritik in der FAZ gefunden; das war nicht bloß ein Verriss, nein, das war eine Hinrichtung. Ich war also mehr als gespannt, was mich da erwarten würde!




Also gleich einmal vorweg: die Hinrichtung in der FAZ ist bei weitem überzogen. Also entweder hatte der Autor mit der Regisseurin Andrea Breth noch eine Rechnung offen oder er hatte einfach einen schlechten Tag, aber so etwas ist einfach nicht gerechtfertigt.

Die Billeteurin wünschte mir übrigens einen schönen Theaterabend "...und Durchhaltevermögen"! Fand ich nett.

Die Inszenierung ist modern und in die aktuelle Zeit verlegt: heutige (zum Teil weiße) Anzüge und Abendkleider, Mikrofone für die Pressekonferenz, EDV-Raum mit Notebooks statt Kapelle; das ist aber alles nicht störend, im Gegenteil, es passt. Vor der ersten Pause, die nach gut zwei Stunden Spiel begann, war die Aufführung flüssig und stimmig.

Danach gab es leider ein paar Längen, die aber nicht so sehr der Inszenierung, als dem ungekürzten Text anzulasten sind. Jetzt weiß ich wenigstens, warum so manche Stellen üblicherweise gestrichen werden. Nach der zweiten Pause (ca. 22:50h) zogen die Handlung und somit auch das Spiel wieder etwas an und wurden wieder abwechslungsreicher.

Die Schauspielerriege war aus meiner Sicht klar zweigeteilt: die Hauptpersonen waren top besetzt und waren auch top (Claudius, Gertrud, Hamlet, Polonius, der Anführer der Schauspieler). Aber bei den anderen Rollen gab es in der Besetzung einen deutlichen Abfall, selbst bei wichtigen Parts: Horatius, Rosenkranz und Güldenstern, die junge Ophelia, Laertes und Fortinbras jr. waren einfach farblos und dünn.

Ophelia wurde übrigens doppelt besetzt: einmal als junge, wie oben angesprochen. Aber die Schicksalsschläge (Vater erstochen, Bruder im Ausland, von Hamlet verstoßen) waren einfach zuviel, sie ließen sie über Nacht altern. Daher kam jetzt eine alte (oder besser: gealterte) Ophelia (Elisabeth Orth) ins Spiel; ein, wie ich finde, sehr schöner Einfall der Regie.

Und dass sie die Schlüsselszene mit den Schauspielern versemmeln (Hamlet will Claudius durch diesen psychologischen Kniff aus der Reserve locken und des Mordes an seinem Vater überführen), werde ich ihnen noch lange übel nehmen: sowas von belanglos! Wenn ich nicht wüsste, dass das eben die Schlüsselszene ist, ich hätte sie auch glatt wegen Übermüdung verpassen können!

Die Inszenierung hatte auch einige Seltsamkeiten. Der Geist von Hamlets Vater kommt in drei Kostümen daher: einmal in einer Art Windelhose, wie man sie offenbar im christlich-keuschen Fegefeuer trägt, ein andermal in voller Rüstung. Und weil die Szene, in der Hamlet seiner Mutter ins Gewissen redet (üblicherweise in deren Schlafzimmer gespielt), diesmal im Badezimmer stattfindet, tritt der Geist passenderweise im weißen Bademantel auf - hat für gewisse Heiterkeit gesorgt.

Und weil die ganze Handlung in unsere Zeit verlegt wurde und heute niemand mehr mit Schwertern oder Degen herumrennt, wird Polonius mit einem einzigen kleinen Stich eines Taschenmessers von Hamlet so übel zugerichtet, dass der daran stirbt.

Und wir haben gelernt, dass es in Dänemark ständig regnet. Das Zentrum der Bühne ist ein kleiner Wald, der die ganze Zeit (echt) mit Wassernebel besprüht wird. Rund um diesen Wald ist die Burg errichtet, deren Dach glücklicherweise dicht ist.

Die Inszenierung leidet ein wenig unter dem exzessiven Einsatz von Drehbühne und Türen. Eine dieser Türen ließ sich einmal nicht schließen, was das Esemble beinahe aus dem Gleis geworfen hätte - erste Lacher auf der Bühne waren schon zu hören, aber es haben sich noch alle rechtzeitig erfangen.

So, jetzt hat sich schon ziemlich viel Text angesammelt, und ich könnte wahrscheinlich noch lange weiter schreiben - kein Wunder bei 6h Spielzeit! Aber lassen wir es dabei.

Es war also kein rundum gelungener Theaterabend, aber doch soweit interessant, dass es sich lohnt, hinzugehen (falls einem das das wert ist). Ich weiß jetzt, dass ich in Zukunft nur noch Hamlet-Inszenierungen mit sorgsam gekürztem Text sehen möchte. Aber immerhin: nach der zweiten Pause waren noch geschätzte 80% des Publikums anwesend.
Schlussapplaus nach 6 Stunden (23:50): abgestuft je nach Performance der Schauspieler (s. oben).

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